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Kiefer Sutherland - "Ich bin ein loyaler Hundesohn."

Galore Volume 19 - Juni 2006

08.04.2006, im Four Seasons, Los Angeles. Kiefer Sutherland wirkt ein wenig angespannt. Er dreht eine Schachtel Zigaretten in seinen Händen und wartet auf Fragen zu seinem neuen Film „The Sentinel“. Doch schnell wird klar: Am Thema „24“ kommt man beim Mann, der Jack Bauer spielt, nicht vorbei.

Mr. Sutherland, Sie rauchen hier in Kalifornien in einem öffentlichen Gebäude. Sie stehen wohl auf Risiko, was?

Kiefer Sutherland: Ich versuche es, wenn man mich lässt. Aber ich weiß, dass ich zu einer aussterbenden Rasse gehöre. Das Zeitalter der Raucher neigt sich dem Ende zu.

In Ihrer Karriere als Filmstar haben Sie auch einige Täler durchschritten.

Ja, und zwar immer genau dann, wenn ich einen Film ausschließlich des Geldes wegen machte. Das geht selten gut. Als ich mit der Schauspielerei anfing, beobachtete ich dieses Verhalten bereits bei einigen meiner Kollegen. Ich dachte eigentlich, ich wäre dagegen gewappnet, weil mich meine Eltern sehr gut auf den Beruf vorbereitet hatten. Aber dann reagierte ich doch falsch und machte die gleichen Fehler. Mir war damals schon bewusst, dass ich bei einigen dieser Projekte mein Talent nicht ausschöpfte. Aber was sollte ich machen? Ich dachte, wenn ich diese Jobs ablehne, kann ich meiner Tochter nicht mal mehr das Schulgeld bezahlen.

War die Kasse wirklich so knapp?

Nein, natürlich war der Pessimismus unsinnig. Ich suchte einfach nach einer Entschuldigung für meine schlechten Entscheidungen und meine beschissene Arbeit. Ich hatte riesiges Glück, dass ich immer wieder eine Chance bekam. Mein ganzes Leben war gepflastert mit guten Chancen.

Sprechen wir über Ihren großen Ausbruch aus der Branche: In den 90ern stiegen Sie komplett aus und ritten professionell Rodeos.

Das klingt, wenn Sie es so formulieren, nach einem sehr ungewöhnlichen Schritt, aber der war es im Endeffekt gar nicht. Ich liebte Pferde, gut reiten konnte ich auch. Ich trainierte dann eine Zeit lang sehr hart – denn ich bin jemand, der gewinnen will.

Was Ihnen auch gelang.

Mit meinem Partner John English wurde ich 1998 bei der US-Meisterschaft tatsächlich Sieger im Teamwettbewerb. Da war ich dann doch erstaunt.

Was haben Sie rückblickend aus dieser Zeit gelernt?

Ich merkte für mich, dass ich das Filmgeschäft nicht brauche. Mir war plötzlich klar: Wenn ich in diesem Beruf scheitere, heißt das nicht, dass ich generell schlecht bin, keinen Erfolg haben kann und mein Leben vorbei ist. Diese ganze Rodeo-Auszeit hatte also etwas sehr Befreiendes.

Wenig später erhielten Sie dann das Angebot für „24“. Was hielten Sie eigentlich vorher von TV-Serien? Die haben in Hollywood ja nicht gerade den allerbesten Ruf...

... und mich haben sie auch nicht interessiert. Aber in diesem Fall kam das Angebot von einem guten Freund, dem Regisseur Stephen Hopkins, und das Konzept schien sehr innovativ.

War Ihnen nicht klar, dass die Idee, eine Agentenserie in Echtzeit zu filmen, zu etwas Besonderem führen würde?

Nein. Keiner von uns dachte, dass sich jemand dafür interessiert. Also drehten wir erst mal nur einen einstündigen Pilotfilm. So umgingen wir das große Risiko, denn falls wir Mist gebaut hätten, hätte es keiner gemerkt.

Staunen Sie immer noch, dass Sie heute weltweit als Verkörperung des unerschrockenen und risikofreudigen Agenten gelten, der Amerika in 24 Stunden zu retten vermag?

Ja, zumal einige Menschen schnell die Realität mit der Show verwechseln. Ich fuhr beispielsweise mit einem Mann im Skilift einen Berg hoch und plötzlich meinte er zu mir: „Eigentlich sollte ich Ihnen eine verpassen.“ Als ich ihn fragte warum, sagte er: „Verraten Sie es bitte niemandem, aber ich arbeite für die CIA. Meine Mutter ist ein großer Fan von „24“, und als ich vier Monate lang in Europa eingesetzt war, wurde sie mit der Zeit immer ärgerlicher, weil ich nicht nach Hause kam. Sie begann zu schimpfen: ‚Du solltest mehr wie Jack Bauer sein und deine Aufträge an einem Tag erledigen.’“ Da draußen denken jetzt tatsächlich einige Leute, Agenten arbeiten 24 Stunden am Stück – und das war’s dann.

Was ist der größte Unterschied zwischen Kiefer Sutherland und Jack Bauer?

Ich bin nicht unerschrocken und eigentlich gar kein Risikotyp, sondern werde immer wieder von Ängsten heimgesucht. Es ist mir auch wirklich wichtig, was andere Leute von mir denken. Mein ganzes Leben lang geht mir das so. Ständig kämpfe ich gegen die Furcht an, etwas falsch zu machen, und da handelt Jack Bauer schon im Grundsatz anders. Ein weiterer Punkt, in dem ich mich von der Kunstfigur unterscheide: Bauers Einstellungen sind – manchmal zwangsläufig – reaktionär. Sicher, er steckt als Agent in tiefen moralischen Dilemmas, aber ich plädiere als Kiefer Sutherland weder für Gewalt noch für die Todesstrafe. Mein Großvater Tommy Douglas war sogar Gründer der sozialistischen Partei Kanadas.

Das klingt ganz so, als würden Sie sich mit Jack Bauer nicht besonders gut verstehen, wenn er Ihnen in der Realität begegnen würde.

Es gibt sicher auch Punkte, über die wir übereinstimmend reden könnten. Aber auch sein Privatleben ist extrem kompliziert. Er tut sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen schwer, er versucht, ein guter Vater zu sein – das sind Probleme, die dieser Figur eine außergewöhnliche Dynamik verleihen.

Sie sprachen gerade davon, dass frühere Rollen Ihre Talente als Schauspieler nicht ausfüllten. Ist das bei Jack Bauer anders?

Nein, das habe ich auch bei dieser Darstellung noch nicht ganz geschafft. Das Gefühl für ein wirkliches Optimum ist auch daran gekoppelt, dass 125 andere Leute am Filmset gleichzeitig mit mir ihr Talent ausschöpfen. Manchmal glaube ich, das wird nie geschehen.

Ihr Vater Donald hat das geschafft, meinen Sie nicht?

Er ist ja auch eine lebende Legende. Schauen Sie sich doch die Vielfalt seiner Rollen an, von Fellinis „Casanova“ über „Klute“ und „1900“ bis hin zu „Wenn die Gondeln Trauer tragen“.

Was schätzen Sie an seiner Schauspielkunst?

Wie er Filmen seinen Stempel aufdrückt. Nehmen Sie „Kelly’s Heroes“, einem Thriller, der im Zweiten Weltkrieg spielt. Mein Vater legte seine Rolle wie ein Komiker an, was die Struktur und Tonalität des Films komplett änderte. Jeder, der am Set dabei war, glaubte, man würde ihn feuern. Aber dann merkten die Verantwortlichen, dass man auf seine Szenen nicht verzichten konnte. So viel Mut hat heute kein Schauspieler mehr – und ich erst recht nicht. Ganz ehrlich: Wenn ich versuchen würde, in seine Fußstapfen zu treten, wäre das so, als verzehrte ich mit einem Biss ein fünfgängiges Menü. Ich müsste mich einfach verschlucken.

Hat schon mal jemand die Idee gehabt, dass er einen Bösewicht in „24“ verkörpern könnte?

Zumindest ich würde das nie wagen. Mit einer Ikone wie ihm macht man so etwas nicht.

Haben Sie Ihren Vater schon in jungen Jahren bewundert?

Das ging gar nicht, denn seine Filme waren nicht jugendfrei. Erst mit 18 habe ich das alles im Rahmen einer großen Video-Session nachgeholt. Den Schlüsselreiz für meinen Berufswunsch setzte meine Mutter Shirley Douglas, die ja auch Schauspielerin ist. Als ich sie in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ auf der Theaterbühne sah, wusste ich: Das ist meine Welt. Damals war ich um die 14, und ich brach die Schule ab und riss aus, weil ich auf nichts anderes mehr Lust hatte. Meine Eltern waren gar nicht begeistert, aber als ich ihnen erzählte, was ich vorhatte, bekam ich ihre volle Unterstützung. Ich spielte Theater, und mit 16 war es dann endlich so weit. Ich bekam meine erste große Filmrolle in dem kanadischen Film „Bay Boy“. Wobei am Abend vor dem Drehstart alles schief zu laufen drohte.

Was war passiert?

Ich ging mit dem Filmteam abends in ein chinesisches Restaurant. Ich war sehr aufgeregt, denn es sollte schließlich der Start meiner Filmkarriere werden. Und was, glauben Sie, stand auf dem kleinen Zettel in meinem Glückskeks? „Geh zurück nach Hause.“ Jeder hätte sich wohl in einer solchen Situation überlegt, ob das nicht ein Zeichen ist – und ich erst recht.

Sind Sie abergläubisch?

Und ob. Ich messe diesen scheinbaren Zufällen eine immense Bedeutung bei und passe in speziellen Situationen sehr genau auf. Ich gehe zum Beispiel nie unter einer Leiter durch.

Warum das?

Meiden Sie Dreiecke! Eine aufgeklappte Leiter formt ein Dreieck – und das ist das Zeichen des Teufels. Sie glauben gar nicht, wie viele es davon in der Welt gibt. Wenn man zum Beispiel beim Dreh einen Sektor mit einem Seil abtrennt und dadurch ein Dreieck entsteht, bringe ich es nicht fertig, da durchzugehen. So ein bisschen Aberglaube gestaltet meinen Tag am Set ganz schön interessant. (lacht)

Was, außer Dreiecken, hätte Ihre Karriere noch gefährden können?

Nun, es ist ja für keinen Schauspieler auf der Welt von Anfang an selbstverständlich, wirklich Arbeit zu haben. Ich kann mich noch gut an eine Unterhaltung mit meinem Kollegen Robert Downey Jr. erinnern, als wir beide 20 Jahre alt waren. Wir sagten uns damals, dass wir es schaffen könnten, wenn wir irgendwie bis 35, 40 im Geschäft bleiben würden. Und dann, so dachten wir, würden die wirklich guten Rollen kommen.

Downey Jr. nahm sich das nicht zu Herzen – er torpedierte stattdessen seine Karriere mit seiner jahrelangen Kokainsucht.

Es gab eine Phase, in der auch ich Drogen nahm. Aber ich stieg bald wieder aus, weil ich nicht damit zurecht kam. Ich war eher dem Alkohol zugeneigt – er hatte keine Auswirkungen auf meine darstellerischen Leistungen. Ich war auch immer pünktlich am Set. Diese Disziplin habe ich von meinen Eltern.

Sie lebten in den 80er Jahren eine Weile mit Downey Jr. und dem späteren „Sex in the City“-Star Sarah Jessica Parker in einer WG. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Es war eine Zeit der Freiheit. Wir standen auf, wann wir Lust hatten, liefen barfuß herum, haben uns benommen wie moderne Hippies. Aber diese Art zu leben können nur die Menschen verstehen, die damals mit dabei waren. Und von langer Dauer war diese Wohngemeinschaft auch nicht. Downey heiratete und bekam Kinder, bei mir geschah das Gleiche.

Bürgerliche Gemütlichkeit kehrte bei Ihnen jedoch so schnell nicht ein. Zunächst platzte 1991 die Hochzeit mit Julia Roberts.

Was soll ich dazu sagen? Im gewissen Sinne hatten wir es ja herausgefordert. Wenn zwei Jungstars kurz vor dem Tag X alles abblasen, dann darf man sich nicht wundern, wenn sich die ganze Welt darauf stürzt. Aus heutiger Sicht war es dennoch der richtige Schritt, auch wenn es damals sehr schmerzvoll für mich war. Glauben Sie mir: Liebe ist für mich die ultimative Antwort auf die Frage, was mich permanent glücklich macht. Sie ist das große Thema unseres Lebens.

Werden Sie etwas konkreter, bitte.

Nun, nehmen Sie die Liebe weg, lösen sich fast alle filmischen oder musikalischen Werke unserer Kultur auf. Schauen Sie sich doch ein Produkt wie meinen Film „The Sentinel“ an: Die ganze Geschichte dreht sich nur darum, dass Michael Douglas Kim Basinger liebt. Und das ganze Drumherum mit Agenten und dem Präsidenten interessiert uns nur, weil wir sehen wollen, was zwischen den beiden passiert und wie sie zusammenkommen oder auch nicht. Unser ganzes Dasein ist eine Jagd nach Liebe. Wir kriegen nie genug von ihr. Wenn ich das Gefühl des Verliebtseins in mir spüre, könnte mich nicht mal ein verdammter Panzer überrollen.

Haben Sie das Gefühl oft?

Die Phasen waren leider immer sehr kurz. Eine Verbindung zu einem anderen Menschen herzustellen, ist viel schwieriger, als wir uns selbst glauben machen. Natürlich stecken viele Leute in Beziehungen, aber häufig nur deshalb, weil sie nicht allein sein wollen. Sie müssen mich richtig verstehen: Ich spreche hier nicht von physischer Anziehung, sondern von wahrer Liebe.

Sie verbringen neun Monate im Jahr mit dem Dreh für „24“ – da bleibt kaum Zeit für das, was man Beziehungsarbeit nennen könnte.

Das hat damit nichts zu tun. In irgendeiner Zeitung wurde ich zitiert, dass mir „24“ keine Zeit für eine Partnerschaft ließe. Das war eine Ente. Ich garantiere Ihnen, ich finde genügend Freiraum fürs Privatleben. Ich bin froh, dass ich jetzt zu meiner Tochter aus erster Ehe ein enges Verhältnis habe und viel Zeit mir ihr verbringe. Trotzdem stimmt es, dass ich einen großen Teil meiner Energie darauf richte, die Serie noch besser zu machen.

Sind Sie mitunter enttäuscht, wenn Sie eines der Drehbücher lesen?

Natürlich passiert das. Aber die Arbeit an den Büchern ist ein konstanter Prozess. Wenn ich oder einer der Regisseure oder Autoren etwas nicht mag, dann ändern wir das.

Und Sie setzen sich immer durch?

Nein. Zum Beispiel wollte ich nicht, dass meine Frau am Ende der ersten Staffel stirbt. Aber es wurde zu einem Moment, der die Serie prägte. Wichtig für „24“ ist, dass kein Charakter vor dem Tod gefeit ist. Ich würde auch nicht grundsätzlich ausschließen, dass Jack Bauer stirbt. Wenn sich alle sicher wären, dass Bauer überlebt, würde das der Serie die Spannung nehmen, finden Sie nicht?

„24“ ohne Jack Bauer wäre doch wie „Dallas“ ohne J.R. Ewing – irgendwie unvorstellbar.

Das sehe ich nicht so. So sehr sich die Zuschauer mit meiner Figur identifiziert haben, so sehr haben sie sich auch mit anderen Charakteren identifiziert. Es wäre dumm von mir zu behaupten, dass ich allein die Serie auf meinen Schultern trage. Nichtsdestotrotz habe ich meinen Vertrag für die Serie gerade bis 2009 verlängert. Ich möchte das Glück, das ich jetzt habe, festhalten. Außerdem bin ich ein ziemlich loyaler Hundesohn. Das dürfen Sie mir wirklich glauben – egal, was Sie anderswo über mich gehört haben.

„24“ soll in naher Zukunft auch in die Kinos kommen. Kann so etwas funktionieren?

Kann es, ich glaube aber nicht, dass die Drehs vor dem Frühjahr 2007 beginnen werden. Wir werden natürlich die Geschichte nicht in Realzeit erzählen – und das eröffnet uns unglaubliche Freiheiten. Stellen Sie sich vor: Endlich kann Jack Bauer interkontinental handeln! Ich bin endlich in der Lage, von Frankfurt nach London zu fliegen, da wir für diesen Trip nicht drei Folgen, sondern nur einen einzigen Schnitt brauchen. Das Konzept mit den parallelen Handlungslinien wird aber beibehalten. Aber eines garantiere ich Ihnen: Wenn das Drehbuch nicht überwältigend ist, wird das Studio nicht das Risiko eingehen und den Ruf der Serie aufs Spiel setzen.

 
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