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Zeit der Veränderung
von Callisto

Charaktere: Jack, Angela, zum Schluss werden Chloe, Audrey, Curtis erwähnt.
Genre: Drama
Thema: 10 Jahre nach Staffel 5, wird voraussichtlich spätestens mit Beginn der 6.Staffel zu AU, SPOILERWARNUNG!
Word Count: 3251
Rating: PG-13
Anmerkungen: gehört alles 24, kein Geld, etc. ....

“Was wollen Sie von mir?” Angela betrachtete den Mann argwöhnisch, der sie unerwartet, wenn auch nicht unbedingt gegen ihren Willen aus dem Unterricht geholt hatte. Davon abgesehen, dass sie es für äußerst merkwürdig hielt, dass er überhaupt die Möglichkeit hatte, einfach so in dieses ‘Gefängnis’, denn anders kam es ihr schon seit langem nicht mehr vor, auch wenn sich die Aufseher dieser Institution, mit Rücksicht auf das Alter der Insassen, eine etwas freundlichere Bezeichnung ausgesucht hatten, hineinzuspazieren, und sie ohne viel Papierkram mit nach draußen zu nehmen.

Sozialarbeiter, Jugendpsychologen, all diese wohlmeinenden Menschen kannte sie bereits zu Genüge, wusste lange im voraus, auf was sie hinauswollten, worum es ihnen, in ihren immer ähnlicher werdenden Gesprächen ging, und wie sie jeden von ihnen nach Belieben irritieren und manipulieren konnte, bis sie sich gegenseitig in die Wolle bekamen. Irgendeine Art von Vergnügen musste man sich schließlich gönnen.

Aber der hier war anders. Etwas älter als der Durchschnitt, graue, beinahe weiße Haare und leuchtende blaue Augen. Irgendetwas Bekanntes schien von ihnen auszustrahlen, aber das mochte ebenso gut Einbildung sein. Sie beschloss die Probe aufs Exempel zu machen, blieb stehen, stellte den linken Fuß auf die Parkbank und nestelte aus ihrem Stiefel eine zerdrückte Packung Zigaretten hervor. Sie zog eine mit den Lippen heraus und zündete sie geübt mit dem Feuerzeug aus ihrer Jeanstasche an. Ein schräger Blick nach oben, versichterte ihr, dass der Mann nichts dagegen unternehmen würde. Also war er entweder ein Weichei, einer von diesen Psycho - Fuzzis, die auf ‘Verständnis’ und ‘Toleranz’ machten, oder es interessierte ihn nicht die Bohne. Seinem teilnahmslosen Blick zufolge, dürfte Letzteres zutreffen. Er griff in seine Hemdtasche, und Angela hob die Augenbrauen, als er Anstalten machte ihrem Beispiel zu folgen.

“Schlechte Angewohnheit,” murmelte er, die Zigarette zwischen den Lippen. “Aber man braucht einen guten Grund, um aufzuhören.” Sie nickte, zu erstaunt um etwas zu erwidern, und sah fasziniert zu, wie der Fremde einen tiefen Zug nahm, die Augen geschlossen, bis der giftige Qualm durch die Nase wieder entwich.

“Ich hab mich noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Jack Bauer. Ich kannte deinen Vater.”

Erleichtert, dass er nicht versuchte ihr die Hand zu geben, nickte sie, als würde ihr der Name etwas sagen, und wartete darauf, dass er fortfuhr. Doch der Mann schien in Gedanken versunken, ihre Anwesenheit beinahe vergessen zu haben, weshalb sie es doch für nötig hielt, sich wieder in Erinnerung zu bringen.

“Ich kannte meinen Vater nicht.”

Jack sah sie mit einem Mal intensiv an, bis sie unter seinem Blick begann nervös zu werden und unruhig mit der Zigarette spielte.

“Ich weiß.” Jack seufzte. “Er muss gestorben sein, noch bevor du in den Kindergarten gekommen bist.”

“Kann sein.” Sie zuckte mit den Schultern. “Ist auch egal, meine Tante wollte nicht über ihn sprechen.”

“Das habe ich gehört. Und auch, dass du..., “ er zögerte, “hin und wieder etwas Schwierigkeiten hast.”

“Ist ja großartig!”

Achtlos ließ sie die Zigarette fallen, und trat sie aus, eine Bewegung, in der ihr Ärger unverhohlen zum Ausdruck kam.

“Sie können sich den Atem sparen.” Sie drehte sich um und blickte ihm herausfordernd ins Gesicht. “Ich hab das alles schon gehört, und nur, weil Sie behaupten meinen Vater gekannt zu haben, brauche ich Ihnen noch lange nicht zuhören.”

Jack zog an seiner Zigarette, erwiderte ihren Blick, ohne zu antworten.

“Was ist?” Angela verlor langsam die Geduld, verschränkte trotzig ihre Arme vor dem schmalen, kindlichen Körper, und bemühte sich, der Intensität dieser eisblauen Augen standzuhalten.

“Oder haben Sie etwas anderes im Sinn? Glauben Sie mir, ich kenne diese alten Knacker, die nichts Besseres zu tun haben, als einem Schulmädchen hinterher zu steigen.” Trotzig streckte sie ihr Kinn vor und setzte etwas deutlicher hinzu: “Und damit das ein für alle mal klar ist, ich bin nicht interessiert.”

Der Mann machte immer noch keine Anstalten etwas zu erwidern, sein Blick hielt sie unerbittlich in seinem Bann, als wollte er ihre Ausdauer prüfen. Nach einer Ewigkeit, so schien es ihr zumindest, entschloss sie sich die Situation zu beenden. Offensichtlich wusste dieser Kerl noch nicht einmal, was er überhaupt hier wollte. Sie warf ihr Haar mit einem Ruck zurück, der ihren Zorn über die verschwendete Zeit und keinesfalls ihre Kapitulation zum Ausdruck bringen sollte, und wandte sich zum Gehen.

“Wenn ich dir etwas über deinen Vater erzählen könnte, wärest du daran interessiert?”

Angela zuckte gleichgültig mit den Schultern, drehte sich jedoch nicht um. Zumindest hatte er sie nach ihrer Meinung gefragt. Das allein war bereits eine Seltenheit, der sie versucht war, Anerkennung zu zollen. Trotzdem, so schnell würde sie sich nicht weichklopfen lassen, nicht von so einem dahergelaufenen Großvater, der sich Wunder was einbildete.

“Was sollte das bringen”, erwiderte sie patzig.

In ihrem Rücken kehrte wieder Stille ein, und nun war sie ernsthaft versucht den Park und den Fremden, ohne sich noch einmal umzusehen, zu verlassen.

“Es könnte vielleicht uns beiden helfen.” Verwirrt verharrte sie einen Moment, bevor sie sich entschied ihren Plan, wenigstens vorläufig, zu ändern.

Jack saß immer noch auf der Bank und starrte auf den Boden, in Gedanken offenbar weit entfernt. Zögernd näherte sie sich ihm.

“Wie sollte das Ihnen helfen?” Ihr Ton war immer noch ungeduldig und fordernd, aber sie konnte nicht verhindern, dass auch eine gute Portion Neugierde mit schwang.

Der Mann löste sich aus seiner Versunkenheit, schien die Welt, die ihn gefangen gehalten hatte, förmlich abzuschütteln, verzog seinen Mund zu einem halbseitigen Lächeln und blinzelte ihr völlig unerwartet zu.

“Das gilt es herauszufinden, oder?”

Er sah zu ihr auf, und sie bemühte sich den Verdacht beiseite zu schieben, er könnte etwas von ihr erwarten. Zur Hölle, sie war nicht in der Position für irgend jemanden eine Hilfe zu sein, am wenigsten für sich selbst.
Er betrachtete sie wieder auf diese irritierende Weise, bis sie anfing, unruhig von einem Fuß auf den anderen zu wechseln.

“Hör zu, ich werde dich nicht mit alten Geschichten langweilen. Aber wenn du etwas wissen möchtest, werde ich immer da sein, um dir Rede und Antwort zu stehen, es ist das Mindeste, was ich tun kann. Hier und jetzt, möchte ich dir nur etwas vorschlagen, und dazu solltest du ein wenig von mir und von deinem Vater erfahren, um verstehen zu können, warum ich zu dir gekommen bin.”

Sie nickte. “Hört sich okay für mich an.”

“Also gut.” Er lehnte sich zurück, schlug ein Bein über das andere, aber forderte sie nicht auf neben ihm Platz zu nehmen. “Zum Glück”, dachte sie bei sich, denn nichts läge ihr im Augenblick ferner.

“Dein Vater und ich waren Partner, für ungefähr ein Jahr. Der Job war gefährlich und wir riskierten beide unser Leben dabei.”

Er seufzte und löste endlich seinen Blick von ihrem Gesicht. “Es endete damit, dass ich gezwungen war... “, er zögerte einen Moment. “Dass ich gezwungen war, ihm eine schwere Verletzung zuzufügen.”

Ohne, dass es ihr bewusst wurde, öffnete sich ihr Mund in Erstaunen. Doch die ausdrucksvolle Stimme sprach unbeeindruckt weiter. “Du warst damals schon auf der Welt.” In seinen Augen blitzte eine Erinnerung auf, als sich sein Mund zu einem Lächeln verzog.

“Meine Tochter Kim hat für eine Weile mit euch beiden zusammengelebt, dich praktisch mit aufgezogen.”

Ein Bild flackerte auf, undeutlich und verschwommen, vielleicht auch nur das Überbleibsel eines vor langer Zeit schon vergessenen Werbespots. Und doch schien die helle, lachende Gestalt, die wie ein Wirbelwind in Sekundenschnelle durch ihre Vorstellung fegte, real zu sein, realer als die Träume von einer glücklichen Familie, die sie durch ihre Kindheit begleitet hatten, bis ihr schmerzhaft bewusst geworden war, dass Träume ihr nicht weiterhelfen konnten.

Jacks Gesichtsausdruck spiegelte ihre Emotionen wieder, zumindest konnte sie sich dieses Eindrucks nicht erwehren, als er weiter sprach.

“Sie hat dieses Leben nicht mehr ertragen können. Ich hatte ihr zu viel zugemutet, daran ist sie...,  ist die Beziehung zu deinem Vater gescheitert.”

Ein bitteres Lachen entfuhr ihr. Mit ihrem klaren Verstand hatte sie sofort begriffen, worum es ging.

“Und nun fühlen sie sich schuldig, und wollen ihre Seele retten.” Sie schüttelte verächtlich den Kopf. “Nein, für gute Samariter Werke bin ich mir zu schade. Fallen Sie doch lieber vor ihrer Tochter auf die Knie, anstatt sich Ersatz zu suchen.”

Wieder trat Stille ein, eine Gelegenheit, die Jack nutzte, um bedächtig seine Zigarette auszudrücken. Der Mann hatte wirklich die Ruhe weg. Wie alt mochte er sein? Hundert?

“Du bist ganz schön clever”, stellte er fest und blinzelte. Angela konnte nicht ausmachen, ob die Bewegung das Resultat von Belustigung oder Erschütterung war.

“Meine Tochter möchte nichts mehr mit mir zu tun haben, und ich fühle mich tatsächlich schuldig. Ich habe Chase, deinem Vater, sehr viel zu verdanken, viel mehr als mir bis vor kurzem noch klar gewesen war.”

“Und da kommen sie jetzt darauf? Nein danke, auf so etwas kann ich verzichten.”

Jack rieb sich nachdenklich die Stirn. “Ich kann es dir nicht verdenken, und ich werde mich auch nicht dafür rechtfertigen, dass ich erst jetzt nach dir sehe. Nur... “, er stockte, sein Blick wurde leer. “Ich war gewissermaßen, bis vor kurzem, selbst in ziemlichen Schwierigkeiten. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich, sozusagen, wieder ein Teil der Gesellschaft werden konnte.”

Angela sah ihn mit plötzlich erwachendem Interesse an. “Waren Sie im Knast?”

Jack verscheuchte die Wolken aus seinen Gedanken und grinste sie an. “Du hast leider nicht die erforderliche Sicherheitsstufe um Näheres zu erfahren, aber auf eine gewisse Art... ja, ich war im Gefängnis.”

Verständnislosigkeit begegnete seinem mit einem Mal erheiterten Gesichtsausdruck.

“Es hat dir wohl niemand gesagt, dass dein Vater beim Geheimdienst war.” Sie schüttelte den Kopf. “Scheiße, nein.”

“Nun, auf jeden Fall, bin ich deiner Tante einmal zu Weihnachten begegnet, da dürftest du... ”, er  überlegte, “... ungefähr zwei Jahre alt gewesen sein.” Er zögerte wieder und fuhr dann leiser fort. “Als ich hörte, dass du bei ihr lebst, hatte ich das Bedürfnis mich näher zu erkundigen.”

Mit einer Hand strich er sich die weiße Strähnen, die seine Augen verdeckten, aus der Stirn.

“Ich meine, ich war selbst ein miserabler Vater, aber bei ihr gab es vermutlich auch nicht viel zu lachen.”

“Oh nein,” rutschte es ihr heraus. Einen Augenblick später kicherte sie. “Nein, wirklich nicht!” Das Vertrauen, das ihr dieser Fremde entgegenbrachte, weckte seltsamerweise den Wunsch es zu erwidern.

Schließlich setzte sie sich zu ihm. “Also sie waren in geheimer Mission im Gefängnis.” Die Sache fing langsam an interessant zu werden. “Und das anscheinend ziemlich lange.”

Jack nickte lächelnd. “Wenn du 10 Jahre für lange hälst?”

“Wow!” Sie war ehrlich beeindruckt. “Und dann, haben sie auf ‘Graf von Monte Christo’ gemacht?” Er hustete, halb amüsiert, halb verlegen.

“Nein, die Sache war etwas komplizierter.”

“Verstehe.” Sie nickte altklug. “Top secret, natürlich.”

Jack konnte das Grinsen nicht mehr zurückhalten. “Genau. Wenn du mehr erfahren willst, musst du dich als Geheimagentin bewerben.”

“Ja klar!” Die Leichtigkeit fiel von ihr ab, wurde ersetzt durch die Wirklichkeit, die unendlich schwerer wog.

“Ich meine es ernst.” Auch Jack war ernst geworden. “Wenn du es willst, kannst du alles werden.”

“Sehr witzig! Was glauben Sie, was wir hier von morgens bis abends zu hören bekommen?”

“Lass mich raten. Aufbauende Bemerkungen wie: ...mit dieser Akte könnt ihr dankbar sein für jeden Fabrikjob?”

Angela nickte frustriert.

“Das erzählen sie gerne, da solltet ihr gar nicht erst hinhören. Zudem, ich mache vielleicht nicht den Eindruck, aber ich habe Beziehungen und Einfluss. Wenn ich mich dafür einsetze, wird dich jede Schule, jede Ausbildungseinrichtung aufnehmen ohne Fragen zu stellen. Natürlich nur, wenn du es auch willst.”

Skeptisch zog sie ihre Stirn in Falten. “Warum sollten Sie so etwas tun?” Das Misstrauen war wieder da, diesmal stärker als zuvor. Es war vielleicht ein Fehler gewesen sich zu öffnen. Niemand bot selbstlos einen so großen Gefallen an. An der Sache stimmte etwas nicht, ganz und gar nicht.

Jack spürte ihren innerlichen Rückzug, und ließ ihr ein wenig Zeit, bevor er seine Erzählung abschloss.

“Es hat mich eine Weile gekostet, bis ich in der Lage war, die Realität wieder in einer Weise wahrzunehmen, die mir den Umgang mit anderen Menschen und die Konfrontation mit den Ereignissen der vergangenen Jahre, ermöglichte. Deshalb habe ich auch nicht früher erfahren, dass dein Vater bei dem Versuch mir zu helfen, sein Leben verloren hat.”
“Was?” Angela sah ihn verständnislos an, fuhr sich nervös durch die Haare und sprach dann hastig weiter. “Also, sie wollen mir ernsthaft erzählen, mein Vater wäre eine Art Held gewesen.?”

In Jacks Mundwinkeln zuckte es belustigt, doch sein Blick blieb ernst.

“So kannst du es sicher nennen.” Er legte den Kopf in den Nacken und blickte nachdenklich in den strahlend blauen Frühlingshimmel hinauf.

“Manchmal werfe ich mir vor, dass er sich zu viel von meiner Art an die Dinge heranzugehen, angeeignet hat, in der Zeit, in der wir zusammengearbeitet haben. Davon abgesehen hatte er diesen Dickkopf, es war beinahe unmöglich ihm etwas auszureden.”

Jack schloss müde seine Augen. “Er hatte etwas herausgefunden, eine Spur entdeckt, und war nicht davon abzubringen ihr zu folgen.”

“Aber er wollte ihnen helfen.” Er nickte und wandte ihr seinen Blick zu, der mit einem Mal  tiefe Trauer wiederspiegelte, den Blick eines Menschen, der bereits zu viele Verluste erlitten hatte.

“Das wollte er, und das hätte er auch, wenn nicht... “. Jack stockte, als hätte er schon zu viel gesagt. 

“Wenn nicht... was? Was ist passiert?” Angela bemühte sich ihre Ungeduld zu bremsen.

“Es... es war eine politische Entscheidung. Die Lage damals war ausgesprochen heikel und... offensichtlich waren mächtige Leute, Menschen mit großem Einfluss, fest entschlossen sich keine weitere Blöße zu geben.” Er zögerte wieder.

“Politik?” fragte sie. “Politiker sind Verbrecher, das weiß man doch.”

Jack schüttelte den Kopf, konnte es aber nicht verhindern, dass seine Gesichtszüge einen belustigten Ausdruck annahmen. “Das ist wohl die Meinung deiner Tante.”

Rasch wurde er wieder ernsthaft. “Wahr ist, dass das Vertrauen der Bürger in ihre Vertreter, gerade in dieser Zeit, extrem erschüttert worden war. Man hatte wohl versucht zu vertuschen, soweit irgend möglich, aber die Furcht vor dem endgültigen Verlust der Kontrolle, beherrschte gewisse Kreise. Und diese waren bereit alles daranzusetzen, um die Stabilität, so, wie sie in ihrem Interesse lag, zu wahren.”

“Soll das heißen... ?” Angelas Augen waren immer weiter geworden, in ihrer Mitte sprühte ein dunkler Funken. Ärger glomm auf, gewann mehr und mehr an Intensität.

Jack fing ihren Blick in Seinem, kontrollierte die aufflackerten Emotionen. Er atmete tief aus, bevor er fortfuhr.

“Lass es mich so sagen. Ich habe in meinem Leben einen einzigen Politiker kennen gelernt, dem ich von ganzem Herzen vertraut habe, einen Einzigen. Und David Palmer ist in genau diesem Jahr erschossen worden.”

Mit Erschrecken nahm Angela wahr, dass Jacks Augen mit einem Mal voller Tränen standen, und noch mehr erschütterte sie, dass sie ihrerseits die unsichtbaren Anzeichen ihrer Trauer emporsteigen fühlte. Und das, obwohl sie doch schon lange nicht mehr weinte, schon viel zu lange nicht mehr. Sie riss sich mit Gewalt zusammen.

“Sie wollen mir also allen Ernstes weismachen, eine Art Regierungsintrige habe zum Tod meines Vaters geführt. Und die Verantwortlichen können zuerst machen was sie wollen und lachen sich dann einen Ast?” Ihr Herz raste, das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie versuchte ihre Wut unter Kontrolle zu bringen. Es schien ihr, als habe sich ein Ventil geöffnet und der jahrelang angestaute Druck wollte nun mit aller Macht entweichen.

Sie merkte erst, dass sie aufgesprungen war, als Jack ebenfalls aufstand.

“Ich habe nichts dergleichen gesagt.” Seine Stimme klang dunkel, besänftigend und zugleich bedrohlich, als er, obwohl nicht viel größer, beinahe hypnotisierend auf sie hinuntersah.

“Aber eines kann ich dir versichern.” Sie hielt seinem Blick stand, obwohl sie am liebsten davon gelaufen wäre, sich verkrochen hätte, versteckt vor dieser Stimme, vor diesen Augen, vor diesen  Geschichten, mit denen sie eigentlich nicht das Geringste zu tun haben wollte, von denen sie nie gewünscht hatte, etwas zu erfahren. Aber jetzt war es zu spät, sie konnte davor nicht mehr davon laufen.

“Jeder, der schuld ist an am Tod deines Vaters, hat dafür bezahlt.”

Angela schluckte unsicher, starrte den Mann an, der auf den ersten Blick so unscheinbar gewirkt hatte, und der mit einem Mal eine Kälte und unerbittliche Härte ausstrahlte, die sie erzittern ließ. Auch ohne, dass er ein weiteres Wort sagte, wusste sie, dass er es sein musste, der dafür gesorgt hatte, dass er, und nur er, dazu fähig wäre, ohne Mitleid und ohne Skrupel. Und genauso wusste sie, dass er sie nicht gehen lassen würde. Ihr Leben würde eine neue Richtung einschlagen, egal, ob sie das nun wollte oder nicht, sie würde daran nichts mehr ändern können.

Im Grunde wusste sie auch nicht, ob sie etwas daran ändern wollte.

***

Jahre später   Der Sommer verbreitete seine drückende Hitze in der Innenstadt von Los Angeles, als die junge Frau den klimatisierten Gebäudekomplex betrat. Sie war schon einmal hier gewesen, das letzte Mal, als sie sich um diesen Job beworben hatte. Aber auch schon vorher, zusammen mit Jack oder Chloe.

Chloe, die in ihr die lang ersehnte Nachfolgerin sah, die meinte, mit jemandem wie Angela auf ihrem Posten könne sie getrost in den Ruhestand gehen.

Und Jack, der sie liebend gerne als Field Agent sah, auch wenn er das niemals zugeben würde. Im Gegenteil, er wurde niemals müde, sie vor diesem Beruf zu warnen, ihr stetig die negativen Seiten aufzuzählen. Und doch sah sie es in seinem Blick, an der Art wie er sich stolz aufrichtete, wenn einer ihrer Einsätze, eine besonders gut bestandene praktische Prüfung, oder ihre Fertigkeiten in Waffentechniken zur Sprache kamen.

Natürlich hatte sie als Teenager auch für ihn geschwärmt. Sein Alter, seine weißen Haare, dass er zunehmend einen Gehstock benutzen musste, hatten dabei keinerlei Rolle gespielt. Aber erst später, als sie diese Phase überwunden, reifer und vernünftiger geworden war, erkannt hatte, dass sich ihr und sein Lebensweg auf eine andere, weitaus tiefergehende Weise überschnitt, waren sie in der Lage gewesen miteinander umzugehen, miteinander zu reden, sich gegenseitig zu helfen.

Sie grinste bei dem Gedanken an ihren ersten Freund, den sie ihm vorgestellt hatte. Der arme Junge musste sich vorgekommen sein, wie bei einem Verhör. Später hatte Jack sich entschuldigt, hatte gemeint mit dem Alter würden seine Beschützerinstinkte wohl völlig außer Kontrolle geraten. Aber sie hatte es geliebt, war ihm dankbar gewesen für die Sorgen, die er sich machte, auch wenn er sie vergeblich zu verbergen suchte.

Und endlich war Audrey wieder in sein Leben getreten, Audrey, die er geliebt hatte, und die einen Kollegen geheiratet, und sich entschlossen hatte bei ihm zu bleiben, nachdem Jack wieder aufgetaucht war. Bis, vor zwei Jahren, ein Herzstillstand ihr Curtis weggenommen hatte, und Jack und sie langsam, Schritt für Schritt, begonnen hatten, umeinander herumzutanzen, bis Angela es einfach nicht mehr hatte mit ansehen können.

Chloe meinte manchmal, wenn es jemand schaffen könne, Jack zu irgendetwas zu bewegen, dann sei es Angela, undhinter der er sich verschanzteund Sicherheit jemandem zu öffnenverschlungen, tatsächlich war es ihr irgendwie gelungen durch diese Mauer aus Selbstvorwürfen, Zweifeln und Bitterkeit, , hindurch zu dringen und ihn davon zu überzeugen sich noch einmal ohne Rückhalt . Und wenn sie an die beiden dachte, wie sie, die Hände ineinander , am Strand spazieren gingen, dann wusste sie, dass es jedes Risiko wert gewesen war. , und Hoffnung strömte von ihr aus, leicht und belebend, wie ein frischer Wind, .

Ende

         

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