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by Pen²

Verwendeter Vorschlag:

Guy-rescuer (nach Season 3)
Nachdem Erin Driscoll Jack Bauer aus der CTU entlassen hat, sucht Jack nach einem neuen Job. Was tut er alles um an einem neuen Job zu kommen? Wie kommt er auf die Idee, den Berater von Secetary Heller zu werden?

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„Und was haben Sie in den 2 Jahren vor ihrer Anstellung bei der...“ Er stockte und blickte in die Akte. „...CTU getan?“ Jeden Buchstaben einzeln betonend, hatte er den Namen ausgesprochen, als handle es sich bei der Antiterroreinheit um eine seltene und überaus ansteckende Krankheit.

„Darüber darf ich nicht sprechen.“

„So, darüber dürfen Sie also nicht sprechen...“

Mit einem angedeuteten Kopfschütteln studierte er weiter den Lebenslauf des Bewerbers. Man bekam ja so Einiges zu hören, aber das war noch nicht dabei gewesen. Die Ausreden wurden auch immer alberner. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was dieser durchtrainierte Mann mit den beunruhigend blauen Augen in den 2 Jahren getan hatte. Vielleicht hatte er schlicht vor sich hin gegammelt. Vielleicht hatte er auch eine Gefängnisstrafe abgesessen. Als Personalchef hatte er weder Zeit noch Lust, jeden offensichtlich gefälschten Lebenslauf zu überprüfen, zumal er sich schon gegen diesen Bewerber entschieden hatte. Er blickte auf.

„Nun, für einen Mann mit ihren Fähigkeiten dürfte die Arbeit als Sicherheitschef unserer Autozentrale eine Unterforderung darstellen. Ich denke nicht, dass wir Verwendung für Sie haben. Guten Tag.“

Damit wandte er sich der nächsten Bewerbung zu. Ein 30-Jähriger, Polizistenausbildung, wollte sich beruflich – wohl eher finanziell, dachte er bei sich – weiterentwickeln. Das könnte etwas sein.

„Auf Wiedersehen.“

Kurz von der Akte aufsehend, sah er, wie der Bewerber mit dem abstrusen Lebenslauf den Raum verließ. Einer weniger. Er hob den Hörer seines Telefons und bat seine Sekretärin, den Nächsten hereinzuschicken. Es gab noch Einiges zu tun.


Schnellen Schrittes und ohne sich noch einmal umzusehen, verließ Jack das Gebäude. Wie ein unangenehmer Nachgeschmack hallte die Erinnerung an dieses Gespräch in ihm nach. So, darüber dürfen Sie also nicht sprechen. Es war offensichtlich gewesen, dass der feiste, selbstzufriedene Personalchef, unter dessen wenigen verbliebenen Haupthaaren die weiße Kopfhaut fettig geglänzt hatte, ihm kein Wort geglaubt hatte. Ich hasse es. Jack schüttelte den Kopf, als könne er so das Gefühl der Erniedrigung vertreiben. Ich hasse es, mir demütig das Urteil solcher Leute anhören zu müssen. Seinen Schritt weiter beschleunigend, bog er in eine Seitenstrasse ein. Früher hätte es mir nicht so viel ausgemacht. Es wird schlimmer, je öfter man es erlebt. Unter Aufbietung all seiner Selbstbeherrschung blieb er kurz stehen und atmete tief durch. Du bist Soldat, du lehnst dich nicht auf. Du nimmst Befehle entgegen. Gefühle haben keinen Platz in deinem Leben. Sein altes Mantra zeigte immer noch Wirkung, obwohl er sich nie so wirklich an den Teil mit dem „Befehle entgegennehmen“ gehalten hatte. Etwas langsamer ging er weiter. Großartig. Jack Bauer, Großmeister der Diziplin und Verdrängung. Egal was passiert, die Fassade hält. Mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen erinnerte er sich daran, dass er es auch einfacher hätte haben können. Erin Driscoll, die neue Leiterin der CTU, hatte ihm ausdrücklich angeboten, ihm einen neuen Job zu beschaffen. Er hatte ihr mit deutlichen Worten klar gemacht, dass er sehr wohl in der Lage sei, sich selber – ohne Hilfe der CTU und ihrer Verbindungen - einen Job zu beschaffen. Davon war er auch fest überzeugt gewesen. Ein Fehler. Was er nicht bedacht hatte, war, dass sein Lebenslauf auf Zivilisten äußerst befremdlich wirkte. Darüber darf ich nicht sprechen. Ihm war schon bewusst, dass das nach Agentenfilm und absolut unglaubwürdig klang, aber was sollte er anderes sagen? Es war die Wahrheit. Deshalb war es eher hoffnungslos, in der Privatwirtschaft einen Job zu suchen. Das Dumme war nur, dass Stellen in militärischen Kreisen, im Umkreis von Menschen, die seinen Lebenslauf zu deuten wussten, nicht einfach so ausgeschrieben wurden. Es gab nun mal keinen Anzeigenteil in der Zeitung mit Namen „Stellenangebote für gefeuerte Regierungsagenten nach dem Heroin-Entzug“. Er gestand es sich nur ungern ein, aber vielleicht hätte er auf Driscolls Angebot zurückgreifen sollen.

Verdammter Stolz. Kannst nicht einmal deinen verdammten Stolz ablegen und es dir leicht machen. Jack seufzte. Ihm war nur zu gut bewusst, dass er es nicht konnte, weil ihm abgesehen von seinem Stolz fast nichts geblieben war. Seinen Job, für den er gelebt hatte, hatte er verloren. Teri, seine Frau, war tot. Seine Tochter Kim war... eben seine Tochter. Sie hatten immer Differenzen gehabt, und seit sie mit Chase weggezogen war, hatte er nur noch wenig von ihr gehört. Er konnte ein schwaches Gefühl der Erleichterung nicht unterdrücken. Sicher, er vermisste sie, sie war seine Tochter, sein geliebtes kleines Mädchen. Aber auch wenn sie es nicht leugnete, nicht aussprach – ein Teil von ihm spürte immer, dass sie ihm zumindest unbewusst die Schuld gab am Tod ihrer Mutter. Was beschwerst du dich, sie hat ja recht. Du hättest sie beschützen müssen. Wenn du ein bisschen aufmerksamer gewesen wärst, hättest du es wissen können. Jack hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Egal, wie oft er die Geschehnisse von damals durchdachte, es endete immer an diesem Punkt: Er hätte es wissenmüssen, bemerken müssen, wenigstens ahnen müssen, dass seine Kollegin Nina, der er Teri anvertraut hatte, nicht nur für ihn arbeitete. Im Nachhinein waren ihm Dutzende verdächtige Augenblicke aufgefallen. Nina war eine gute Schauspielerin gewesen, aber nicht so gut, dass er nicht manchmal misstrauisch geworden wäre. Jedesmal hatte er das Gefühl unterdrückt. Weil ich es nicht wissen wollte. Weil ich sie geliebt habe. Jack blieb abrupt stehen. Er spürte, wie sich ein vertrautes Gefühl in seiner Magengegend breitmachte. Er brauchte einen Schuss. Jetzt. Weder seinen wenigen Freunden noch seinem Therapeuten in der Entzugsklinik hatte er je gestanden, wie sehr ein Teil von ihm bedauerte, dass seine Sucht entdeckt worden war. Das Heroin war das Einzige gewesen, das ihm wenigstens kurze Zeit Frieden verschafft hatte. Stillschweigend waren alle davon ausgegangen, dass er nach dem Ende der Undercoveroperation, in deren Verlauf er zur Tarnung drogensüchtig geworden war, eine Therapie erbeten hätte. Er selbst war sich da nicht so sicher. Ihm war bewusst gewesen, dass ihn die Sucht langsam zerstören würde, und ein Teil von ihm hatte sich danach gesehnt. Am Ende allerdings hatten seine Professionalität gesiegt, sein Selbsterhaltungstrieb und der Ausdruck in Kims Augen, als sie mit ihm darüber gesprochen hatte. Er seufzte. Die anderen mochten ja seinen Willen bewundern und ihn für stark halten. Er selbst würde sich nie als stark bezeichnen. Zäh ja, das vielleicht. Egal was war, egal wie sehr es schmerzte, letzten Endes machte er trotzdem weiter. Lief durch die Gegend, erfüllte die Erwartungen, während in seinem Inneren ein Schmerz tobte, ihn auffraß, bis nichts mehr da war.

Jack Bauer war nicht mehr als eine Aufziehpuppe. Und er war müde geworden, sie aufzuziehen.

Vor der kleinen, etwas schäbigen Kneipe machte er halt. Die Worte seines Therapeuten „Passen sie auf, dass sie sich keine Ersatzdroge zulegen!“ klangen in seinen Ohren. Nun, er kannte sich. Jack Bauer würde aufhören, bevor es seine Professionalität gefährden würde.

Als er 2 Stunden später wieder aus dem Dunkel der Kneipe trat und die Konturen der umliegenden Häuser, vom nachmittäglichen Licht umspielt, in seinen Augen tanzten, musste er anerkennen, dass er es vielleicht doch ein wenig übertrieben hatte. Etwas unsicher bog er in die nahe Hauptstraße ein. Die um ihn herum hastenden Menschenmassen erzeugten ein merkwürdiges, surreales Gefühl in ihm. Vielleicht lag es nur daran, dass es auch für ihn ungewohnt war, tagsüber in angetrunkenem Zustand durch die Innenstadt zu laufen. Nachdem er fast mit einem kleinen Jungen zusammengestoßen war, dessen Mutter ihn daraufhin anklagend ansah und etwas von „Verdammte arbeitsscheue Alkoholiker“ murmelte, beschloss er, in einem nahegelegenen Park eine Pause einzulegen. Er musste dringend einen klaren Kopf bekommen.

Jack lehnte sich auf der Parkbank zurück. Langsam spürte er, wie sein alkoholvernebelter Kopf sich wieder klärte. Unangenehm drang ihm auf einmal der Geschmack des Alkohols, den er noch immer auf der Zunge hatte, ins Bewusstsein. In seiner Umhängetasche suchte er nach einem Kaugummi, fand aber nur ein altes, verklebtes Mentholbonbon. Nach kurzem Zögern wickelte er es aus dem Papier und steckte es in den Mund. Es war scharf, hinterließ ein taubes Gefühl auf seiner Zunge. Er sah sich um. Vor ihm lag ein kleiner See, um den in regelmäßigem Abstand kleine Schilder mit der Warnung standen, keine Kinder unbeaufsichtigt am Ufer spielen zu lassen. Von einem kleinen Cafe in der Nähe drang leise die melancholische Melodie eines Liedes zu ihm. Irgendwo hatte er es schon gehört. Er reckte den Kopf, um den Text verstehen zu können.


Oh my love for the first time in my life

my eyes are wide open

„Ist hier noch frei?“

oh my lover for the first time in my life

my eyes can see

Auf sein Nicken hin setzte sich die Frau. Schwach nahm er ihr Parfüm wahr.Ihr blondes Haar war im Nacken sorgfältig zusammengesteckt.

I see the wind oh I see the trees

everything is clear in my heart

„'Oh my love' von John Lennon.“ Überrascht wandte sich Jack zu ihr um. „Er singt davon, dass Yoko Ono ihn gerettet hat.“ „Hat sie das?“ Sie lächelte ihn an, und irgendetwas war dabei in ihren Augen, etwas ernstes, nur an ihn gerichtetes, das er auch Jahre danach noch nicht wirklich verstanden hatte. „Natürlich hat sie ihn gerettet.“ „Aber er ist dennoch gestorben.“ „Alle Menschen sterben irgendwann.“

Oh my lover for the first time in my life

my mind is wide open

Wie sie dann ins Gespräch gekommen waren, worüber genau sie gesprochen hatten,wusste er später nicht mehr, in Erinnerung blieben ihm nur das helle Grün ihrer Augen, der verletzliche, schutzlose Ausdruck um ihren Mundes, wenn sie lachte, das Gestikulieren schmaler Hände und die Zeilen des Liedes, die immer wieder in sein Bewusstsein drangen,

Oh my lover for the first time in my life

my mind can feel

obwohl das Lied schon längst zu Ende gewesen sein musste. Irgendwann waren sie aufgestanden,

begannen, am See entlang zu spazieren. Eine Libelle war auf sie zugeflogen, und als die Frau versucht hatte, ihr auszuweichen, war sie ausgerutscht und hatte sich an seinem Ärmel festgehalten. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sie festzuhalten und zurückzuziehen, aber sie sah ihn an, und ihre Hand lag auf seinem Arm, und aus irgendeinem Grund war er unfähig, zu reagieren, ihre Augen waren sehr hell, blickten direkt in seine, und ihre Hand lag auf seinem Arm, und so fielen sie gemeinsam in das grünbraune Wasser des Sees, und dann saßen sie verdutzt und nass einander gegenüber, sahen sich an und begannen zu lachen.

I feel life oh I feel love

Everything is clear in our world

Danach hatten sie sich verabschiedet, sie hatte ihm ihren Namen genannt und die Hand gereicht.

„Audrey.“ Er spürte, wie ein Lächeln auf seine Lippen drang. „Jack. Freut mich.“ Mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen hatte sie ihn gemustert. „Sehen Sie zu, dass Sie wieder auf die Beine kommen, ja?“ Überrascht hatte er sie angesehen. „Wie meinen Sie das?“ Mit einem Schulterzucken antwortete sie. „Sie sitzen nachmittags angetrunken auf einer Parkbank.“ Er spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. Innerlich schüttelte er den Kopf über sich, denn er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal rot geworden war.

„Es ist eigentlich nicht meine Art. Im Moment ist einfach...“

„Sie müssen sich nicht vor mir rechtfertigen.“

„Nein, wirklich. Es ist normalerweise...“

Ihr Lachen hatte ihn verstummen lassen.

„Es ist okay. Passen Sie einfach auf sich auf, ja?“

„In Ordnung.“

„Auf Wiedersehen, Jack.“

„Auf Wiedersehen, Audrey.“

Von einem plötzlichen Gefühl der Verlassenheit erfasst hatte er ihr nachgesehen.

„Audrey?“

Sie hatte sich umgedreht und ihn fragend angesehen. Plötzlich wusste er nicht mehr, was er hatte sagen wollen.

„Passen Sie auch auf sich auf, ja?“

Oh my lover for the first time in my life

my eyes can see

Ziellos war er danach noch einige Zeit durch die Innenstadt gestreift, bis das seltsame Gefühl, unversehens in einer unbekannten Welt gelandet zu sein, nachgelassen hatte. Er hatte sich einen Narren gescholten, alles auf den Alkohol geschoben und sich in Richtung seiner Wohnung orientiert. Müde hatte er die Türe aufgeschlossen, das Licht angemacht und sich unter die Dusche gestellt. Danach war er ins Bett gegangen und sofort eingeschlafen.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte er einen erstaunlichen Brummschädel. Dennoch fühlte er sich so erholt wie seit langem nicht mehr. Nach einem Blick auf die Uhr beeilte er sich, sich fertig zu machen. In einer Stunde wollte er sich mit Chloe treffen. Seit er aus dem Entzug zurück gekommen war und danach aus der CTU gefeuert worden war, hatte sie sich in unregelmäßigen Abständen bei ihm gemeldet. Wie sie unumwunden zugab, machte sie sich Sorgen und wollte ein Auge auf ihn haben. Jack grinste. Chloe war ihm zu Anfang gewaltig auf die Nerven gegangen, aber inzwischen war sie ihm ans Herz gewachsen. Auf ihre unbeholfene Art war sie nämlich einer der wenigen Menschen, die ihren Freunden gegenüber absolut loyal war. Anders als einige andere hatte sie sich nicht von ihm distanziert, als er gefeuert worden war, und das rechnete er ihr hoch an.

Sie sah ihm finster entgegen, die Stirn in Falten gelegt. „Du bist zu spät.“ „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Chloe.“ Jack setzte sich ihr gegenüber und bestellte einen Kaffee bei dem Kellner, der zu ihrem Tisch geeilt war. Ihm entging nicht, dass Chloe ihn argwöhnisch anblickte, wobei sich ihre Stirnrunzeln vertieften.

„Nimmst du wieder Drogen?“

Jack verschluckte sich fast, und hätte er schon seinen Kaffee gehabt, hätte er ihn filmreif wieder ausgespuckt.

„Was?!“

„Du hast schwarze Ringe unter den Augen und wirkst nicht gerade fit. Trotzdem scheinst du gut gelaunt zu sein.“

„Ihr Kaffee.“

„Danke.“

„Lenk nicht ab!“

„Chloe, ich habe nur dem Kellner für den Kaffee gedankt.“

Sie verstummte und sah ihn trotzig an. Jack hatte Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. „Chloe, glaub mir, ich bin clean.“ „Ich glaub dir kein Wort.“ Ein Seufzen unterdrückend, nahm Jack einen Schluck Kaffee. Wehe, wenn sie losgelassen... Er beugte sich zu ihr und sah ihr eindringlich in die Augen.

„Vertrau mir.“

Ein Fehler. Jack spürte förmlich, wie ihr Misstrauen ins Unermessliche stieg.

„Jack, wir haben weder eine nationale noch eine internationale Krise. Die Masche funktioniert nicht.“

„Chloe...“

„Gib es zu.“

„Chloe.“

„Ich kenne dich. Gib es zu.“

„Chloe!“

„Versuch gar nicht erst, es abzustreiten.“

„Chloe, ich hab nichts genommen, verdammt noch mal!“

Er war unbeabsichtigt heftig geworden.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien.“

„Und warum bist du dann so gut gelaunt?“

„Bin ich gut gelaunt?“

„Ja, du hast so ein latentes debiles Grinsen im Gesicht.“

„...“

„Jack, ich habe dich nicht so gut gelaunt gesehen seit... Ich habe dich überhaupt noch nie so gut gelaunt gesehen!“

„Tja.“

„Jack, was ist passiert?“

Schmale Hände, hellgrüne Augen. „Passen Sie auf sich auf.“

Er nahm den Löffel und rührte in seinem Kaffee herum.

„Ich habe jemanden kennengelernt.“

Chloe sah ihn an, als habe sie einen Geist gesehen. Sie war so überrascht, dass sie fast vergaß, misstrauisch zu sein.

„Du hast dich verliebt?“

„Nein, Chloe, das...“

„Du?!“

„Ich habe mich nicht verliebt, ich habe nur jemanden kennengelernt, und...“

„Eine Frau?“

„Ja, aber...“

„Du hast dich verliebt.“

Chloe wirkte regelrecht entsetzt, als wäre ihr gesamtes Weltbild erschüttert worden. Langsam fragte er sich, was für ein Bild sie eigentlich von ihm hatte. Er seufzte und setzte erneut an.

„Ich habe mich nicht verliebt, ich habe mich nur mit jemandem unterhalten, der mir die Augen geöffnet hat.“

„Für die Liebe.“

„Nein, nicht für die Liebe.“

„Wofür dann?“

Bedächtig nahm er die Kaffeetasse und führte sie an die Lippen.

„Ich muss mein Leben wieder in die Hand nehmen.“

„Welch bahnbrechende Erkenntnis.“

„Nicht wahr?“

Jack lächelte.

„Da ist es wieder.“

Chloe klang noch immer misstrauisch.

„Was?“

„Das debile Grinsen.“

Die Personalchefin der mittelständischen Sicherheits- und Serviceagentur - so hatte es in der Anzeige gestanden- sah ihn ratlos an.

„Mister...“ Sie schaute noch einmal in die Akten.

„Mr. Bauer, ihnen wird doch klar sein, dass mir ein derart lückenhafter Lebenslauf unmöglich Auskunft darüber geben kann, ob sie für diese Stelle geeignet sind.“

„Das verstehe ich natürlich, dennoch bin ich nicht befugt, mit ihnen darüber zu sprechen.“

„Unter diesen Umständen kann ich ihnen leider nicht weiterhelfen.“

Sie klappte die Akte zu und wollte Jack verabschieden, doch er kam ihr zuvor.

„Rufen Sie diese Nummer an.“ Er reichte ihr einen Zettel, auf dem er die Telefonnummer notiert hatte. „Die Frau, die sie erreichen werden, kann ihnen genauere Informationen geben.“

Verwirrt blickte sie auf.

„Wessen Nummer ist das?“

„Das ist die Durchwahl zu Erin Driscolls Büro. Sie ist die derzeitige Chefin der Counter-Terrorist-Unit. Sagen sie ihr einfach, dass es um Jack Bauer geht.“

„In Ordnung...“

„Ich lasse sie wohl am Besten einen Moment allein, damit sie in Ruhe mit ihr sprechen können.“

Als Jack die Bürotür hinter sich schloss, konnte er sich ein breites, albernes Grinsen nicht verkneifen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie genervt Erin in kürzester Zeit sein würde, wenn er das nun bei jedem Vorstellungsgespräch wiederholen würde. Mit wenigen Schritten ging er zur gegenüberliegenden Wand des Raumes, wo einige Stühle aufgestellt waren. Er wollte sich schon setzen, als er plötzlich verharrte. Über den Stühlen waren einige Spiegelfliesen aufgehängt, und in einer von ihnen hatte er sein Gesicht erblickt.

„Damnit.“

Chloe hatte Recht gehabt.

Er hatte tatsächlich ein ausgesprochen debiles Grinsen im Gesicht.

Einige Monate später.

„Walt, hören sie mich?“

„Ja, Jack.“

„Sind alle in Position?“

„Ja.“

„Denken sie daran, mich sofort zu informieren, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Egal was.“

„Ich verstehe.“

Mit einem Stirnrunzeln unterbrach Jack die Verbindung. Ihm war nicht wohl bei der Sache. Es ging um das Jubiläum einer großen Rüstungsfirma. Da es sich um eine Veranstaltung der Privatwirtschaft handelte, hatte die Stadt jede Unterstützung bei Organisation und Sicherung verweigert. Für ihn war das unentschuldbarer Leichtsinn. Die Firma hatte in letzter Zeit für Schlagzeilen wegen angeblicher Verwicklungen in illegale Waffengeschäfte gesorgt. Zudem war eine Rede des Verteidigungsministers, der im Moment die Stadt besuchte, angekündigt. Das war zwar nicht sein Problem, da der Minister von der CIA geschützt wurde und laut Plan erst kurz vor seiner Rede eintreffen und direkt danach wieder abreisen sollte, um das Sicherheitsrisiko zu minimieren. Es ärgerte und beunruhigte ihn allerdings, dass er noch nicht einmal eine Liste der Personen erhalten hatte, die den Minister begleiteten.

Aufmerksam ging er die Positionen seiner Leute durch.

Die Veranstaltung sollte in wenigen Minuten mit einer Rede beginnen und mindestens 3 Stunden dauern. Bisher lief alles nach Plan, aber die Sache barg Risiken, die kaum zu überblicken waren. Ein mittlerweile altbekanntes Verlangen bahnte sich einen Weg in sein Bewusstsein. Heroin. Jack hatte gelernt, damit umzugehen, aber das Gefühl würde ihn immer begleiten. Ein Teil seines Bewusstseins hatte nie aufgehört, gebieterisch nach dem nächsten Schuss zu verlangen. Einmal hat es aufgehört. Kurz blitzte das Gesicht der rätselhaften Frau – Audrey – in seinen Gedanken auf. „Yoko Ono hat John Lennon gerettet.“ „Aber er ist dennoch gestorben.“ „Alle Menschen sterben irgendwann.“ Er hatte sie nie wieder gesehen. Energisch schüttelte er den Kopf. Es gab wichtigere Dinge, die seine Aufmerksamkeit forderten. Jack wandte sich den Bildschirmen zu, auf denen er in verschiedensten Einstellungswinkeln die Veranstaltungshalle und die umliegenden Gänge sah. Alles ruhig. Er wollte sich schon wieder seinem Plan für die nächsten Stunden zuwenden, als eine Gestalt am unteren Rand des Hauptbildschirms ihm einen kurzen Fluch entlockte. Hastig zog er sein Funkgerät hervor.

„Andy, hören sie mich?“

„Ja, Jack.“

„Sehen sie die Frau links vor sich? Kurze dunkle Haare, südländisches Aussehen, langer Rock, steht neben dem Blumenarrangement.“

Es blieb kurz ruhig, dann knackte es, als Andy antwortete.

„Ich sehe sie.“

„Die Frau ist als Aktivistin bekannt. Nehmen sie sie unauffällig in Gewahrsam und bringen sie sie her.“

„Okay.“

Jack lehnte sich zurück und beobachtete, wie Andy sich der Frau näherte, sie ansprach und dann am Arm hinausführte, während sie hektisch und verzweifelt auf ihn einsprach.

Mit einem Stirnrunzeln zog Jack die Akte hervor, in der vermerkt war, von wem Störungen bei der Feier zu befürchten war. Er blätterte kurz, dann hatte er es gefunden. Micaela Sanchez. Stammt aus Mexiko, hat in den letzten drei Monaten mit Anschuldigungen, dass die Firma illegal Waffenlieferungen in unglaublichem Ausmaß an die Drogenmafia vorgenommen hat, für Aufsehen gesorgt. Und wahrscheinlich hat sie recht. Früher hätte ich ihre Aussage aufgenommen und Ermittlungen eingeleitet. Jack riss sich zusammen. Er war Angestellter, kein Bundesagent mehr.

Micaela Sanchez sah Jack verzweifelt an. „Bitte, lassen sie mich gehen. Ich muss da unten sprechen, ich habe Beweise für meine Anschuldigungen!“ Unbewegt sah er ihr in die Augen. „Warum geben sie diese Beweise dann nicht einfach an die Zeitungen?“

Ihre Stimme war leise, aber sehr eindringlich, als sie antwortete.

„Weil mir die Zeitungen kein Wort glauben, sie halten mich für eine Verrückte.“

„Aber wenn sie Beweise haben, können die Zeitungen...“

„Die reden nicht mehr mit mir. Ein Journalist meinte zu mir, die Firma habe ihnen mit rechtlichen Schritten gedroht. Bitte, das ist meine einzige Chance. Heute abend werden mich alle hören. Sie können mich dann nicht mehr ignorieren!“

Sie hat recht. Es ist vielleicht wirklich ihre einzige Chance. Aber ich bin dafür verantwortlich, dass diese Veranstaltung ohne Probleme abläuft. Ich verliere meinen Job, wenn ich ihr helfe.

„Bitte, mein Sohn ist bei Auseinandersetzungen zwischen zwei Drogenbossen gestorben. Sie haben ihn gefoltert und dann in den Kopf geschossen, weil er fliehen wollte.“ Eine Erinnerung ließ Jack zusammenzucken. Eine Frau, sehr schön, lange schwarze Haare. Das Blut rann tiefrot aus der kleinen Einschusswunde am Haaransatz.

„Bitte, er war ein guter Junge. Er hatte es nicht verdient zu sterben. Diese Leute dürfen die Drogenmafia nicht weiter aufrüsten. Bitte helfen sie mir.“ Obwohl sie ihn noch immer um Hilfe bat, hatte ihr Gesicht bereits einen resignierten Ausdruck angenommen.

Hoffnungslos, schoss ihm durch den Kopf. Sie glaubt nicht mehr daran, dass ihr jemand helfen wird. Jack atmete tief durch.

„Kann ich ihre Beweise mal sehen?“

Ich bin ein Idiot.

Ungläubig starrte sie ihn an, dann zog sie einen Ordner aus ihrer Umhängetasche und begann, ihm hastig die darin enthaltenen Dokumente zu erläutern.

„Alles in Ordnung, es war ein Missverständnis.“ Jack nickte Andy kurz zu, der ihm verwirrt entgegensah. „Der Minister ist eingetroffen, sieh zu, dass er in den Saal geführt wird.“ Ohne Widerspruch nahm Andy die Order entgegen, obwohl sich sein Misstrauen regte. Es war nicht seine Aufgabe, den Minister zum Saal zu eskortieren.

Mit gedämpfter Stimme wandte sich Jack zu Micaela um. „Gleich wird eine Pause im Programm entstehen, während wir auf den Minister warten. Gehen sie dann schnell zum Podium, ich werde aufpassen, dass sie ungestört sprechen können.“ Sie lächelte nervös. „Tausend Dank.“ Stumm warteten sie, bis der Redner – ein Kommunalpolitiker mit theatralischer Rethorik und noch theatralischerer Gestik – seine Lobpreisungen auf die sozialen Leistungen der Rüstungsfirma beendet hatte. Jack beugte sich zu Micaela. „Jetzt.“ Sie nickte und bahnte sich entschlossen einen Weg zur Bühne. Als sie anfing zu sprechen, klang ihre Stimme klar, völlig gelassen und gerade deshalb um so eindrucksvoller.

„Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben viel über die Verdienste dieser Firma gehört. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Ich...“ Jack folgte ihrer Rede nicht mehr. Seine Aufgabe war nun, dafür zu sorgen, dass sie nicht unterbrochen wurde, und damit hatte er alle Hände voll zu tun. Als der Verteidigungsminister eintraf, war er gerade damit beschäftigt, den aufgebrachten, fluchenden PR-Manager daran zu hindern, auf die Bühne zu stürmen, und bemerkte deshalb auch nicht, dass nach dem Minister eine zierliche Frau den Saal betreten hatte und ihn aus goldgrünen Augen überrascht anstarrte. Währenddessen drang Micaelas Stimme noch immer sicher und deutlich über das Stimmengewirr, das sich im Saal ausgebreitet hatte. Einige Gäste standen empört auf und gingen, aber die Mehrheit lauschte betroffen, als sie die Verwicklungen der Firma in die Machenschaften der Drogenmafia in ihrer Heimat aufdeckte. Dann wurde ihr der Strom abgeschaltet, aber es war schon zu spät. Alle hatten gehört, was sie zu sagen hatte.

„Mr Bauer, was haben sie zu den Anschuldigungen in Bezug auf die Jubiläumsfeier zu sagen?“

Jack sah seinen Chef an. Er wusste, dass dieser es bedauert, ihn zu verlieren. Andererseits konnte er es sich nicht leisten, ihn weiter zu beschäftigen. Seine Auftraggeber bezahlten ihn, um den störungsfreien Ablauf ihrer Veranstaltungen zu gewährleisten. Mit seinem Verhalten hatte er der Sicherheitsagentur beträchtlichen Schaden zugefügt, ob es nun moralisch gerechtfertigt gewesen war oder nicht. Mit halbem Ohr registrierte er, wie hinter ihm jemand den Raum betrat, sah sich aber nicht um.

„Es tut mir leid, dass ich der Firma und ihnen Probleme bereitet habe. Ich bin mir meiner Verantwortung voll und ganz bewusst und akzeptiere, welche Entscheidungen sie auch immer fällen mögen.“

„Sie wissen, dass wir ihnen kündigen müssen?“

„Ja.“

Einen kurzen Moment herrschte Stille, dann seufzte sein Chef.

„Jack, was haben sie sich nur dabei gedacht? Die Frau dort sprechen zu lassen... ich verstehe ja, dass die Frau Recht hatte, aber... ich kann sie unter diesen Umständen einfach nicht weiter beschäftigen.“

Jack überlegte kurz, dann antwortete er klar und bestimmt.

„In Mexiko herrschen im Umfeld der Drogenmafia seit Jahren Zustände, die an Bürgerkrieg erinnern. Die örtlichen Drogenbosse bauen sich Privatarmeen auf, die dann die unschuldigen, meist bitterarmen Anwohner terrorisieren. Tausende Menschen sind nach Schätzungen bereits gestorben, und der mexikanische Staat scheint das Blutvergießen nicht eindämmen zu können. Ich war selbst einige Zeit dort unten. Ich habe mit diesen Menschen gelebt, ich war es ihnen schuldig, Mrs Sanchez zu unterstützen. Es war eine Gewissensentscheidung.“

Sein Chef nickte.

„Ich wünsche ihnen alles Gute, Jack.“

„Danke.“

Ein leises Klicken drang an sein Ohr und verriet ihm, dass, wer immer auch den Raum vorhin betreten hatte, nun wieder gegangen war.

„Auf Wiedersehen, Jack.“

„Auf Wiedersehen.“

Er stand auf, um seinem Chef die Hand zu schütteln, und verließ dann den Raum.


Wenige Tage später kehrte er nochmals in sein Büro zurück, um seine Unterlagen und persönlichen Dinge von seinem Schreibtisch zu holen. Er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Nach dieser Geschichte würde ihn kein Sicherheitsunternehmen mehr einstellen. Mit einem sarkastischen Lächeln erinnerte er sich daran, dass er ja auch noch einen Abschluss in englischer Literatur hatte. Notfalls kann ich ja fragen, ob irgendwo noch ein Lehrer gebraucht wird... Jack wollte gerade das Zimmer verlassen, als ein ihm unbekannter Mann in Anzug und Krawatte auf ihn zu kam. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Man-in-Black bei einem der Dienste arbeitete, vermutlich NSA oder CIA.

„Mr Bauer?“

„Ja?“

„Hätten Sie Interesse, als Minister Hellers persönlicher Berater zu arbeiten?“

Völlig überrumpelt starrte Jack den Mann an.

„Wie bitte?“

„Haben Sie Interesse?“

„Ja. Ja natürlich.“

„Gut. Rufen sie hier an, die Dame wird ihnen alles weitere sagen.“ Er reichte ihm eine Visitenkarte und schickte sich an, zu gehen. Jack blickte einen Moment irritiert auf die Karte, dann hob er den Kopf.

„Entschuldigen sie bitte, aber wie kommt er ausgerechnet auf mich?“

Mit einem halben Lächeln drehte sich der Man-in-Black zu ihm um.

„Eigentlich war es nicht seine Idee, sondern die seiner Tochter, Mrs Raines. Sie arbeitet auch für ihn. Sie war wohl ziemlich beeindruckt von ihrer Vorstellung bei dem Jubiläum. Außerdem war sie dabei, als sie sich deswegen vor ihrem Chef und der Komission rechtfertigten...“

Die Person, die zwischendrin reinkam und ging, bevor ich sie gesehen hatte.

Der CIA-Agent sprach unterdessen weiter.

„Sie meinte, sie kennen sich schon.“

„Wir kennen uns schon?“ Jack runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, die Tochter des Verteidigungsministers kennengelernt zu haben. Natürlich hatte er bei der CTU immer wieder mit Regierungsmitgliedern und deren Mitarbeitern zu tun gehabt, aber an diesen Namen erinnerte er sich nicht.

Jack schüttelte den Kopf.

„Ich kenne keine Mrs Raines.“

„Nun, sie war jedenfalls sicher, dass sie sich kennen. Ich muss los, auf Wiedersehen.“

„Auf Wiedersehen.“

Jack sah ihm verwirrt nach, schüttelte den Kopf und schloss seine Bürotür hinter sich. Die Visitenkarte hatte er in seine Brieftasche gesteckt.

Mit einem Mal wurde ihm klar, dass das eine viel bessere Entwicklung war, als er hätte erwarten können.

Jack begann zu grinsen. Federnden Schrittes verließ er das Gebäude. Der kalte Herbstwind wirbelte feuerrot gefärbtes Laub durch die Straßen und die Luft war eigentümlich transparent, der Himmel durchscheinend blau. Von einem plötzlichen Impuls bewegt, hob er den Kopf und sah zu den wenigen, intensiv weißen Wolken auf.

I see the wind, oh I see the trees

everything is clear in my heart

Jack blinzelte. Er spürte, wie seine Augen vom hellen Licht, der kalten Luft zu tränen begannen.

Alle Menschen sterben irgendwann. Daran ist niemand schuld. Langsam hob er die Hand und wischte über seine Augen, dann packte er die Tasche mit seinen Habseligkeiten fester und ging weiter.

oh my lover for the first time in my life

my eyes can see

         
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