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Das
Ende einer Illusion by Hoppel Langsam, mit unsicheren Schritten, betrat Jack das verlassene Bahngelände. Das Ephinedrin, mit dem Tony ihn wieder ins Leben zurückgeholt hatte, verursachte immer noch eine leichte Benommenheit. Er musste bei jedem Schritt aufpassen, nicht zu stolpern. Um überhaupt eine Orientierung zu bekommen, betrat er die stillgelegten Gleise, die aus dem Gelände herausführten. Er fröstelte trotz der aufgehenden Sonne. Sie begann, ihn zu blenden und er setzte seine Sonnenbrille auf. Er hörte, wie das Auto, mit dem Tony und Michelle ihn hierhier gebracht hatten, startete und sich die Motorengeräusche immer weiter entfernten. Bloß nicht umsehen, Jack sagte er leise zu sich selbst. Sein altes Leben gab es nicht mehr - das lag jetzt hinter ihm. Ein tiefes Gefühl der Verlassenheit erfasste ihn, das plötzlich in dumpfe Verzweiflung umschlug. Vorsichtig setzte er sich auf den breiten Holzstumpf, der im Schatten eines alten Schuppens lag und versuchte die Gedanken zu ordnen, die in seinem Kopf umherwirbelten. Er konnte es kaum fassen: gerade noch vor kurzem versuchten die Organe des Staates, den er mehrfach vor einer Katastrophe gerettet hatte, ihn zu ermorden. Kurz davor hatte ihm die erste Frau, die er nach Teri von ganzem Herzen lieben konnte, gestanden, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein konnte. Wie sollte es mit ihm weitergehen? Was würde er darum geben, wenn er mit irgendjemandem über all dies sprechen konnte. Er fühlte sich vollkommen leer. Blicklos starrte er vor sich hin. Nach einer Weile erhob er sich mühsam und durchquerte das verlassene Gelände, immer noch tief in Gedanken versunken. Er schrak heftig zusammen, als ihn plötzlich ein junger Mann von der Seite ansprach. Entschuldigung, kann ich Ihnen helfen? Jack sah in ein freundliches Gesicht, aus dem ihn ein Augenpaar besorgt anblickte. Ich kam gerade hierher, um das Holz für meine Firma in dem alten Schuppen zu lagern und sah sie dort so erschöpft sitzen. Nein, nein, ich bin ok stammelte Jack und wollte gerade weitergehen. Doch plötzlich drehte er sich zu dem jungen Mann um und sagte: Vielleicht können Sie mir doch helfen. Fahren Sie mit Ihrem LKW zurück in die Stadt? Ja sicher, in einer halben Stunde. Würden Sie mich mitnehmen? Natürlich, gern. Während der junge Mann seiner Arbeit nachging, zog Jack sein Handy aus der Hosentasche, legte es auf die Erde und trat mehrmals darauf, um sicherzustellen, dass es auch wirklich zerstört war. Kommen Sie winkte der junge Mann Jack nach einer Weile zu und dieser kletterte in den klapprigen LKW. Als die beiden die Vororte von Los Angeles erreicht hatten, sagte Jack: Hier können Sie mich rauslassen. Als er aus dem LKW kletterte, drehte er sich zu dem jungen Mann um und murmelte leise: Ich danke Ihnen sehr. Bevor er den Park, der vor ihm lag, schnellen Schrittes betrat, sah er sich vorsichtig um. Um diese Zeit war hier noch keine Menschenseele zu sehen. Tau lag über dem Gras, und ein leichter Nebel waberte über den Wegen. Langsam öffnete Jack das schmiedeeiserne Gittertor, das ihm den Weg versperrte. Noch immer war er hier mutterseelenallein. Trotzdem suchte er beim Gehen immer wieder Schutz hinter den dicken Baumstämmen, bis er sein Ziel erreicht hatte. Schlagartig blieb er stehen und es traten ihm die Tränen in die Augen. Kaum konnte er durch den Tränenschleier hindurch die Inschrift auf dem Grabstein entziffern: Teri Bauer geliebte Ehefrau und Mutter. Mit beiden Händen richtete er die Blumenvase mit den lachsfarbenen Rosen wieder auf, die er letzte Woche, an seinem und Teris Hochzeitstag, hierhier gebracht hatte. Mit schlechtem Gewissen hatte er vor einiger Zeit an dieser Grabstätte gestanden und Teri erzählt, dass er das erste Mal nach ihrem Tod wieder eine Frau aus tiefstem Herzen lieben konnte. Er schwor ihr an dem Tag, sie trotz allem nie zu vergessen. Ihm war damals, als hörte er ihre sanfte Stimme, die ihm sagte: Quäl Dich nicht, Jack, ich bin froh, dass Du wieder glücklich sein kannst. Oh mein Gott, Teri stöhnte Jack leise auf. Was habe ich meiner Familie nur angetan? Du bist meinetwegen ums Leben gekommen. Jetzt bin ich offiziell tot, und ich kann nicht einmal unserer Tochter sagen, dass ich in Wirklichkeit noch lebe. Jetzt hat sie keinen von uns beiden mehr. Mit weichen Knien setzte Jack sich auf die Bank neben dem Grab und fuhr sich verzweifelt durchs Haar. Es tut mir alles so entsetzlich leid. Nachdem er eine Weile mit geschlossenen Augen dagesessen hatte, sah er Teris besorgtes Gesicht vor sich, aus dem ihn ihre gütigen, braunen Augen liebevoll ansahen. Jack meinte er zu hören, Du hast Dein Land mehrmals vor einer Katastrophe gerettet, vergiss das nicht. Unsere Kim ist ein starkes Mädchen, sie wird auch diesen Schicksalsschlag überwinden. In der Zeit, als sie uns beide noch hatte, haben wir ihr das Ausmaß an Liebe gegeben, das sie jetzt stark machen wird. Außerdem hat sie Chase und die kleine Angela, die ihr Kraft geben werden. Wie immer hast Du recht, Teri flüsterte Jack. Auch für Dich fuhr Teris sanfte Stimme fort, wirst Du eine Lösung finden. Davon bin ich überzeugt. Noch einmal glaubte Jack, Teris liebevolles Lächeln zu sehen, dann war um ihn herum wieder alles kalt und einsam. Plötzlich hörte er Stimmen und Schritte vom Eingang des Friedhofes, sprang hastig auf und machte sich durch die Büsche auf den Weg zum Eingangstor. Auf dem Weg dorthin zermarterte er sich den Kopf darüber, was er als nächstes tun sollte. Plötzlich fiel ihm siedendheiß der Brief ein, den er seit Wochen in seiner Brieftasche mit sich herumtrug. Sollte er mit seiner Hilfe ein neues Leben anfangen können? Er hob den Kopf und sah in den strahlendblauen Himmel. Es war ihm, als wäre ein kleiner Stein von seinem Herzen gefallen. Gedankenverloren sah Jack aus dem Flugzeugfenster. In weiter Ferne sah er den schneebedeckten, majestätisch aufragenden Kilimandscharo in der aufgehenden Sonne glitzern. Noch einmal ließ er die vergangenen Tage Revue passieren. Wie gut, dass er durch seine Tätigkeit als CTU-Agent einige recht zwielichtige Gestalten kennengelernt hatte. Einer von ihnen war Freddie Byrne, seines Zeichens Besitzer einer kleinen, schmierigen Striptease-Bar in Los Feliz. Jack hatte dafür gesorgt, dass Freddie jedesmal, bevor eine Razzia in seinem Etablissement geplant war, einen Tipp von ihm bekam. Im Gegenzug bekam er von Freddie so manche wertvolle Auskunft über den Aufenthaltsort von Leuten, die sich gerne vor den Hütern des Gesetzes versteckten. Als Jack an der Hintertür dieses Etablissements auf Freddie wartete und diesen um Hilfe bat, zögerte der keine Sekunde. Als erstes gewährte er Jack Unterkunft in seiner schmuddeligen Absteige, in der es allerdings von Kakerlaken nur so wimmelte. Hier würde ihn niemand vermuten. Jack färbte seine Haare tiefschwarz, kämmte sie mit Gel nach hinten und setzte braune Kontaktlinsen in seine Augen. In der Zwischenzeit besorgte Freddie ihm einen gefälschten Pass, gefälschte Kreditkarten, ein verschlüsseltes Handy und ein Flugticket von Los Angeles über Rio de Janeiro nach Tansania. Mr. Dempsey? Jack schrak aus seinen Gedanken auf, als ihn die Stewardess freundlich ansprach. In etwa einer Stunde landen wir in Nairobi. Kann ich noch etwas für Sie tun? Bringen Sie mir bitte noch einen Jack Daniels antwortete Jack. Während er auf sein Getränk wartete, sah Jack auf den kleinen Fernsehbildschirm vor seinem Sitz. Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme des Nachrichtensprechers: Heute fand die Beerdigung von Paul Raines, dem verstorbenen Ehemann der Tochter unseres Verteidigungsministers, statt. Gleich darauf sah man Bilder von einer ganz in schwarz gekleideten Audrey, deren Gesicht von Schmerz gezeichnet war. Sie wurde gestützt von ihrem Vater, dem Verteidigungsminister James Heller. Auch er war gramgebeugt. Schnell schaltete Jack den Bildschirm aus, nahm der Stewardess den Whisky aus der Hand und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Dann schloss er die Augen und lehnte seinen Kopf an die Kopfstütze. Kaum in Nairobi gelandet, marschierte Jack zu dem Privatflugzeug, dessen Pilot schon auf ihn wartete. Bitte ins Okawango-Delta, zu dem kleinen Flughafen Nagawa. Als Jack während des Fluges aus dem Fenster blickte, fühlte er sich, als würde er wieder nach Hause kommen. Seine Besuche zusammen mit Teri und Kim auf der Ngoro-Ngoro-Farm, deren Besitzer Teris Onkel Michael war, gehörten zu den glücklichsten Tagen seines Lebens. Teri und er hatten hier sogar ihre Flitterwochen verbracht. Daran wurde er schmerzlich erinnert, als er auf die Kolonie von Flamingos herunterblickte. Nie würde er die strahlenden Augen vergessen, mit denen Teri ihn anblickte, als sie diese rosarote, elegante Herde das erste Mal sah. Mit ineinander verschränkten Händen hatten sie den Anblick gemeinsam genossen. Teris Onkel hatte ihr die Farm nach seinem Tode vermacht. Das wurde Jack vor einigen Wochen von einem Rechtsanwalt mitgeteilt. Da er Teris offizieller Erbe war, gehörte die Farm nun ihm. Er hatte gezögert, das Erbe anzunehmen, weil er glaubte, die traurigen Erinnerungen nicht zu ertragen. In seiner jetzigen Situation jedoch war diese Farm für ihn ein Geschenk des Himmels. Nachdem das kleine Flugzeug auf der holperigen Landebahn aufgesetzt hatte, packte Jack seine Reisetasche und sprang die Treppe herunter. Der Jeep stand schon für ihn bereit. Obwohl sein letzter Besuch schon eine Weile her war, hatte er den Weg noch ungefähr im Kopf. Zielstrebig fuhr er über die staubigen Wege, die man hier Straßen nannte nichts als Steppe, soweit das Auge blickte, unterbrochen von zahlreichen Affenbrotbäumen, auf denen Vögel jeder Art und Größe saßen. Aha, der alte Billy Bonham betrieb seine Safari-Lodge also immer noch zumindest war das Hinweischild noch da und jemand hatte es offensichtlich neu angestrichen. Noch zwei Wegbiegungen, dann musste die Abzweigung zur Ngoro-Ngoro-Farm auftauchen. Kaum hatte Jack dies gedacht, sah er das verwitterte Schild, das kaum mehr zu entziffern war. Dort vorne waren die Hütten der Helfer von Michael, und dahinter würde er gleich das gemütliche, ganz aus Holz erbaute Farmhaus sehen, in dem sicher ein bequemes Bett auf ihn wartete. Jack wunderte sich, dass so gar kein Leben in den Hütten war. Sonst tobten ständig einige Kinder hier herum, und die Mütter hatten alle Mühe, ihrer Herr zu werden. Wahrscheinlich musste um diese Jahreszeit alles auf den Feldern bei der Ernte helfen. Als Jack voller Vorfreude um die Ecke bog, zuckte er zusammen. Es bot sich ihm ein trostloser Anblick: Das Farmhaus, in dessen Bau Michael soviel Sorgfalt und Liebe investiert hatte, existierte nicht mehr. Stattdessen gab es einen großen, schwarzen Haufen Asche, auf dem sich gerade zwei große Geier mit kahlen Köpfen niedergelassen hatten. Hastig kletterte Jack aus dem Jeep. Er konnte nicht fassen, was er da sehen musste. Nachdem er die Unglücksstätte mehrmals umrundet hatte, erfassten ihn lähmendes Entsetzen und eine bleierne Müdigkeit. Seine Hoffnung auf ein neues Leben hatte sich von einer Minute auf die andere zerschlagen. Völlig ausgepumpt legte er seinen Kopf auf das Lenkrad und wollte nur noch eins: die Augen schließen und nie wieder aufwachen. Nach einer Weile wurde er durch Motorengeräusche aufgeschreckt und drehte sich um. Hinter ihm hielt ein olivfarbener Jeep, der auch schon bessere Tage gesehen hatte, dem eine sehr schlanke Frau mit langen, glänzenden schwarzen Haaren entstieg. Sie ging auf Jack zu und sagte: Ich sah Ihr Auto von der Straße aus. Kann ich Ihnen helfen? Vielleicht erwiderte Jack mit müder Stimme. Mit schleppender Stimme erzählte er ihr von dem Erbe, auf das er sich so gefreut hatte und das er nun nicht mehr antreten konnte. Das tut mir leid antwortete die fremde junge Frau. Wir hatten in letzter Zeit viele Überfälle auf unbewohnte Farmen und haben deswegen schon alle unsere Schutzmaßnahmen verstärkt. Können Sie mir sagen, wo ich hier in der Nähe eine Übernachtungsmöglichkeit finde? brachte Jack mit Mühe und Not heraus. Sie können bei mir wohnen, ich betreibe die Safari-Lodge hier ganz in der Nähe. Mein Name ist Sharon Bonham. Dann sind sie die Tochter von dem alten Bonham? Ja, mein Vater starb vor zwei Jahren und ich habe die Lodge nach seinem Tod übernommen. Mein Name ist William Dempsey. Dann folgen Sie mir bitte, Mr. Dempsey. Mit diesen Worten startete sie den Jeep, Jack wendete seinerseits sein Auto und fuhr hinter ihr her. Als Jack sich der Bonham-Lodge näherte, traute er seinen Augen kaum. Der alte Bonham hatte seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht mit dem Vermieten der Zimmer in seiner Lodge gefristet und kaum etwas in die Anlage investiert. Der Anblick, der sich Jack jetzt bot, überraschte ihn jedoch. Die zahlreichen kleinen Häuser waren frisch renoviert und gruppierten sich um eine gepflegte Außenanlage mit mehreren Teichen, einem sehr akkurat geschnittenen Rasen, einem Swimmingpool und großen, Schatten spendenden Bäumen. Jack parkte seinen Jeep und ging auf die Besitzerin zu. Das Aussehen der Anlage überrascht mich jetzt aber sagte er, ich hatte sie völlig anders in Erinnerung. Sie meinen, ziemlich verwahrlost? lachte sein Gegenüber. So habe ich sie auch übernommen. Allerdings habe ich von meinem verstorbenen Mann eine ziemliche hohe Geldsumme geerbt, die ich hier investiert habe. Unsere Ferienhäuser sind meistens ausgebucht. Darum tut es mir leid, dass ich Ihnen nur den kleine Bungalow hier am Rand anbieten kann. Er gehörte meinem Aufseher, der meine Gäste in die Wildreservate gefahren hat. Leider hat er mich von heute auf morgen im Stich gelassen. Er reicht mir völlig. Wenn sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich bin sehr müde. Natürlich, das verstehe ich. Wenn Sie möchten, können sie morgen früh ab 8 Uhr im Haupthaus frühstücken. Ich danke Ihnen sehr. In der Hütte angekommen, warf Jack seine Reisetasche auf den Fußboden, legte sich auf das breite, bequeme Bett unter das Moskitonetz und war im Nu eingeschlafen. Früh am nächsten Morgen wachte er blitzartig auf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war. Dann fielen ihm nach und nach die Ereignisse des gestrigen Tages wieder ein. Als erstes würde er sich jetzt frischmachen, frühstücken und dann darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte. Jack stellte sich unter die Dusche und ließ das Wasser auf seinen Körper niederprasseln. Erleichtert wusch er das fettige Gel aus seinen Haaren. Dann zog er sich ein olivgrünes T-shirt und bequeme Safarihosen an, fuhr sich einmal mit den Fingern durch die frischgewaschenen Haare und machte sich auf den Weg zum Haupthaus. Schon von weitem hörte er, dass mehrere Personen lautstark diskutierten. Als er den Empfangsraum betrat, sah er, dass Sharon Bonham in eine erregte Unterhaltung mit einigen Gästen verwickelt war. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit hörte Jack von einem der Gäste. Ich habe diesen Urlaub inklusive eines Ausflugs in die Wildreservate gebucht, und nun erzählen Sie mir, das ist nicht möglich, weil ihr Wildhüter sie im Stich gelassen hat? Es tut mir leid, erwiderte Sharon, aber ich kann mir doch auch kein Personal aus den Rippen schneiden. Sie dürfen nicht ohne fachkundige Begleitung ins Wildreservat fahren. Langsam kam Jack näher und blickte Sharon an. Guten Morgen. Vielleicht kann ich Ihnen helfen! Guten Morgen antwortete sie. Sie? Wie denn? Bei meinen früheren Aufenthalten in Namibia habe ich die Wilderhüter-Prüfung gemacht. Ich kenne mich in den Wildreservaten sehr gut aus und könnte Ihre Gäste begleiten. Das wäre ja wunderbar strahlte Sharon ihn an. In Ordnung, antwortete Jack. Sobald ich gefrühstückt habe, kann es losgehen. Nach ihrer Rückkehr erzählten die Gäste voller Begeisterung, wie fachkundig Jack ihnen die exotische Welt Afrikas gezeigt und erklärt hatte. Als Sharon ihn fragte, ob er die freie Stelle als Wildhüter bei ihr antreten wollte, willigte er ein. Auf diese Weise zogen mehrere Wochen ins Land. Tagsüber zeigte Jack den Touristen die afrikanische Tierwelt, abends saß er meistens bei einem kleinen Feuer vor seiner Hütte, las oder lauschte den für ihn so ungewohnten Geräuschen Afrikas. Er vermied es tunlichst, den Teil seiner Seele, in dem die Sehnsucht nach seinem früheren Leben vergraben war, an die Oberfläche kommen zu lassen. Ab und zu unterhielt sich Jack mit Sharon oder sie saßen vor dem Feuer ihres Kamins und tranken ein Glas Wein. Jack genoß es, sich wieder mit einer Frau unterhalten zu können, und er sah in Sharons Augen, dass auch ihr das Zusammensein gefiel. Einmal hatte sie ihn nach Einzelheiten seines früheren Lebens gefragt. Als sie die Antwort bekam, dass er darüber nicht sprechen möchte, schnitt sie das Thema nie wieder an. Eines Abends, nachdem sie wieder einmal lange Zeit über Gott und die Welt geredet hatten, sah Sharon Jack ins Gesicht und sagte leise: Wenn du möchtest, kannst Du heute nacht hierbleiben. Jack sah sie an und bemerkte ebenso leise: Ich würde gerne bleiben. Vorher möchte ich aber ehrlich zu dir sein: mehr als Freundschaft kann ich Dir nicht bieten. Es gibt da eine Frau in meinem früheren Leben, die den Platz in meinem Herzen ausfüllt. Ich werde nicht eine Sekunde aufhören, sie zu lieben. Sharon strich ihm liebevoll über die Wange und antwortete: Damit kann ich leben. Wochen verstrichen und Jack war davon überzeugt, er hätte sich in seinem neuen Leben so eingerichtet, dass er zufrieden sein konnte. Manchmal allerdings wollte der Schmerz aus den Tiefen seiner Seele an die Oberfläche kommen, wie gestern zum Beispiel. Er hatte ein junges Ehepaar mit deren kleiner blonder Tochter zum Okawango-Delta gefahren. Das kleine Mädchen war hellauf begeistert von den vielen wilden Tieren, die es zu sehen bekam, vor allen Dingen von dem Baby-Elefanten, der vergnügt in der Tränke plantschte und mit seinem Rüssel das Wasser verspritzte. Sofort musste Jack an Kim denken, die damals genauso begeistert von den Tieren gewesen war. Als er von diesem Ausflug zurückkehrte, teilte er Sharon nur kurz angebunden mit, dass er heute abend allein sein möchte. Sie fragte nicht weiter und Jack setzte sich im Dunkeln auf sein Bett unter das Moskitonetz und versuchte, mit einer halben Flasche Whisky den Schmerz in seinem Herzen zu bekämpfen. Heute musste einer der Zäune repariert werden. Wie immer, hatte Jack sein verschlüsseltes Handy mitgenommen. Seine Freunde aus dem vorherigen Leben wussten, dass er in relativer Sicherheit war und er wusste, dass seine Freunde Michelle und Tony die CTU verlassen und sich mit einer Sicherheitsfirma selbständig gemacht hatten. Chloe hatte einen Freund, von dem sie ihm ab und zu erzählte. Außerdem hielt sie ihn über Kim auf dem Laufenden. Er hatte auch von ihrer tiefen Depression erfahren, in die sie gefallen war, nachdem sie vom Tod ihres Vaters erfahren hatte. Gerade hatte Jack sein Werkzeug ausgepackt, als das Handy klingelte. Chloe, wie geht es Dir? Mir geht es gut, Jack. Wie geht es Kim? Deswegen rufe ich an, Jack. Du solltest wissen, dass Chase und Kim sich getrennt haben. Kim geht es sehr schlecht, sie befindet sich im Moment in der psychiatrischen Abteilung einer Klinik. Danke für die Information, Chloe. Mit diesen knappen Worten schaltete Jack das Handy aus. Dann konzentrierte er sich auf die Reparatur des Zaunes. Mittags hielt er erschöpft inne. Er war total durchgeschwitzt, so heftig hatte er körperlich gearbeitet. Auf diese Weise hatte er es geschafft, nicht nachzudenken. Jetzt, als er im Schatten des nächsten Baumes eine Zwangspause einlegen musste, kam ihm die Bedeutung dessen, was Chloe ihm gesagt hatte, mit gewaltiger Wucht zum Bewusstsein. Seiner Kim ging es schlecht und er konnte nicht bei ihr sein. Trotz der immensen Hitze fror er am ganzen Körper. Nachdem er seine Arbeit wiederaufgenommen hatte, gingen ihm immer die gleichen Worte im Kopf herum: ich bin Tausende von Kilometern von meinem Kind entfernt. Plötzlich ließ er das Werkzeug dort, wo er stand, fallen und ging zum Haupthaus. Sharon saß in ihrem Büro und strahlte Jack freundlich an: Jack, meinst Du wir können uns heute einen gemütlichen Abend machen? Jack sah zu Boden und antwortete nicht. Er sah ihr nicht in die Augen, ging zum Fenster und blickte hinaus. Wir müssen reden, Sharon. Eine Weile blieb es im Zimmer völlig still. Du willst gehen, Jack? sagte Sharon mit leiser Stimme. Abrupt drehte Jack sich um und sah sie an: Woher weißt Du das? In jeder Sekunde unseres Zusammenseins habe ich gefühlt, dass Deine Seele sehr, sehr weit weg war. Ich wusste, dass dieser Augenblick irgendwann einmal kommen würde. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Jack strich ihr liebevoll durch das lange, glänzende schwarze Haar. Ich hatte mir eingebildet, ich könnte mir am anderen Ende der Welt ein ganz neues Leben aufbauen. Aber das war eine Illusion. Meine Vergangenheit wird mich immer wieder einholen. Er zog Sharon an sich und küsste sie auf die Wange. Ich packe meine Sachen am besten sofort. Pass auf Dich auf, versprochen? Versprochen entgegnete Sharon mit leiser Stimme. Werde glücklich, Jack. Mit schnellen Schritten verließ Jack das Büro und ging zu seinem Bungalow. Er warf seine Habseligkeiten in die große Reisetasche und schlang sie über seine Schulter. Dann warf er die Tasche in den Jeep, der vor seiner Haustür parkte, stieg ein, setzte seine Sonnenbrille auf und fuhr mit quietschenden Reifen auf die staubbedeckte Straße, ohne einen Blick zurück zu werfen. |
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