Durch
den Regen
by Jimmi24Zwischen Season 3 und Season 4
Michelle hat Tony erst vor ein paar Tagen verlassen und
versucht nun, etwas Abstand zu gewinnen (Urlaub im
Ferienhaus der Eltern...) Tony findet sie jedoch und will
sich mit ihr aussprechen.
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Ein Jahr nach Season 3
Fünf Tage. Fünf lange Tage war es her, dass sie ihn
verlassen hatte. Und nun saß sie hier, ganz alleine, auf
der Couch ihrer Eltern und kratzte bereits den Boden des
riesigen "Ben & Jerry's"-Eisbechers aus,
als sie ein Klopfen an der Tür hörte. Sie nahm an, dass
es eine ihrer Freundinnen war, die sie nur "auf
andere Gedanken bringen" wollte, was sie, wie auch
in den vergangenen Tagen, dankend ablehnen würde. Wie
konnten sie es, mit ihren perfekten Single-Leben auch nur
wagen, sie in so einer Situation mit ihrem Frohsinn,
wilden Partys und vermeintlich gut aussehenden Männern
überhäufen zu wollen. Nein, sie wollte allein sein.
Also blickte sie genervt durch den Türspion, obwohl sie
wusste, dass das Licht im Hausgang kaputt war und sie
sowieso nichts erkennen könnte und öffnete danach die
Tür. Mit einem zu ihrem Blick passenden, genervten
"Was denn?!" kam sie allerdings nicht einer
ihren Freundinnen entgegen, sondern Tony, der von oben
bis unten klatschnass vor ihr stand und auf den Boden
neben sich sah, bevor er seinen Kopf hob, um sie zu
mustern. In einem hellblauen Flanellschlafanzug, Frosch-Hausschuhen
und zerzausten Haaren sah sie immer noch fantastisch aus
- nicht, dass er ihr das jetzt gesagt hätte. Stattdessen
blickte er sie durch seine tropfnassen Haare an und
brachte nur ein leises "Hi" heraus.
Michelle auf der anderen Seite musterte ihn ebenso -
irgendetwas an ihm war anders, seit sie ihre Sachen
gepackt hatte und gegangen war. Er war immer noch genauso
unrasiert und trug immer noch einen Jogginganzug, doch in
seinen Augen sah sie etwas, das dort bereits seit Monaten
nicht mehr gewesen war - besser gesagt, sie sah etwas
nicht: Alkohol. Sie dachte nicht, dass Tony wirklich ein
ernsthaftes Problem mit Alkohol hatte, doch war sie es
Leid, seine Aufmerksamkeit mit einer Flasche Bier und dem
Fernseher teilen zu müssen. Als sie bemerkte, dass sie
ihn nun schon knappe zwei Minuten auf eine Antwort warten
ließ, trat sie ein wenig zur Seite, schluckte kaum
merklich und ließ ihn in die Wohnung, ohne ein Wort
gesagt zu haben.
Sich etwas unwohl fühlend, stand Tony nun inmitten der
Eigentumswohnung von Michelles Eltern und hatte das
Gefühl, dass er sich - nass wie er war - nicht unbedingt
auf die teuren beigefarbenen Wildledermöbel im
Wohnzimmer setzen sollte. Endlich konnte auch Michelle
den Mut aufbringen, etwas zu sagen:
"Woher wusstest du, dass ich hier bin?" fragte
sie mit zittriger Stimme.
"Du... hattest gesagt, dass deine Eltern übers
Wochenende in San Francisco sein würden und da schien es
mir..." Michelle nickte nur überrascht - sie hatte
nicht gedacht, dass er ihr zugehört hatte, als sie von
der Geburtstagsfeier ihres Großonkels erzählt hatte.
Eigentlich hätte sie mitfahren sollen, doch es war ihr
nicht besonders nach feiern zumute gewesen.
"Wieso bist du so nass?" wollte sie nun wissen,
immer noch leicht irritiert von seiner Anwesenheit.
"Das Auto ist liegengeblieben und dann bin ich eben
den Rest des Weges gegangen." erklärte er.
Nun nahm Michelle ein Handtuch und den Bademantel ihres
Vaters von der Stange im Bad, vor dem sie gerade standen,
ging voraus und legte das Handtuch auf einen der Sessel,
bevor sie ihm den Bademantel gab und ihm mit einer
Handbewegung bedeutete, dass er sich nun setzen konnte.
Mit etwas mehr Selbstbewusstsein saß sie ihm nun
gegenüber und sah ihn nur stumm an.
"Wieso bist du eigentlich hier?" platzte es aus
ihr heraus, etwas unfreundlicher als sie es geplant hatte,
doch Tony verstand. Es ging ihr nicht darum, ihn wieder
loszuwerden, sondern einfach um ein paar Antworten auf
die Fragen, die sie beschäftigten.
Er atmete tief ein. "Ich... Ich wollte mit dir reden."
Er ließ seinen Kopf schuldbewusst hängen und fuhr dann
fort. "Und dann muss ich mich entschuldigen. Und
nicht nur einmal." Er lächelte sie etwas traurig an.
"Als ich am Montag aufgewacht bin und du nicht da
warst, hab ich zuerst gehofft, dass du Abends einfach
wieder in der Tür stehst, aber das war nicht so. Also
hab ich am Dienstag wieder das Gleiche gehofft... Und am
Mittwoch hab ich dann versucht, dich zu hassen. Ich
wollte sauer auf dich sein, dafür, dass du wegwarst,
ohne ein Wort. Und dann bin ich abends in diese Bar
gegangen und hab nachgedacht und hab herausgefunden, dass
ich nicht sauer auf dich sein konnte. Ich wollte in diese
Bar gehen und sie mit irgendeiner Fremden am Hals wieder
verlassen..." Michelle zuckte bei diesen
Ausführungen ein wenig zusammen.
"Keine Sorge." sagte er gleich. "Ich hab...
Ich konnte nicht. Ich konnte es einfach nicht. Also hab
ich diesem Typen neben mir zugehört, der die ganze Zeit
nörgelte, dass er seine Frau doch nur endlich loswerden
wollte, weil sie ihm immer auf die Nerven ging mit ihrem
tollen Job und ihren Abenden mit ihren Freundinnen, zu
denen sie ihn dann auch noch mitnehmen wollte... Und
irgendwann bin ich dann aufgestanden, hab ihn gepackt und
hab ihn angeschrien. Dass er sie doch nicht einfach so
hängenlassen könne, dass sie sowieso was viel Besseres
verdient als ihn. Da ist mir dann aufgefallen, dass ich
selber auf dem besten Weg war, genau so zu werden wie der
Kerl - du wolltest mir helfen, wolltest, dass ich für
dich da bin, wenn du nach der Arbeit heimkommst. Ich war
nur... so überfordert von der ganzen Situation, ich bin
es einfach nicht gewöhnt, nicht gebraucht zu werden. Und
in all diesem Selbstmitleid hab ich vergessen, dass du
mich gebraucht hättest." Er schüttelte den Kopf
ein wenig."Ich war so egoistisch... Ich hab geglaubt,
dass meine Probleme wichtiger waren als alles andere und
dass du dich einfach um mich zu kümmern hattest und
trotzdem... hab ich dich nicht an mich rangelassen."
Michelle hatte ihre Knie inzwischen bis zu ihrem Kinn
hochgezogen, wie eine Schutzmauer zwischen ihr und Tony.
Obwohl sie einen dicken Knoten im Hals hatte, sagte sie
nun auch etwas - auch wenn es nur eine weitere Frage war.
"Wieso? Wieso wolltest du nicht reden?"
"Es war mir alles so peinlich. Die ganze Geschichte...
Wir konnten nicht mal zusammen auf die Straße, ohne,
dass irgendjemand anfing zu tuscheln. Komm schon, du hast
das genauso mitgekriegt wie sie dich angesehen haben - 'das
ist die, die mit dem Verräter verheiratet ist'. Du bist
auf dem besten Weg nach ganz oben mit deiner Karriere und
dann hast du nen Typen an deiner Seite, der es nicht
einmal schafft, einen Job als Kassierer in einem
Supermarkt zu behalten. Ich hab mich einfach geschämt,
dass ich... nicht derjenige sein konnte, den du damals
geheiratet hast." Wieder sah er auf den Boden, um
ihren Blick zu meiden. Diesmal jedoch hörte er sie leise
protestieren.
"Tony. Schau mich an, bitte." Er blickte nicht
auf, trotzdem sagte sie leise, aber bestimmt: "Ich
habe dich nicht geheiratet, weil du mein Boss warst und
erfolgreich. Ich habe dich geheiratet, weil ich dich
liebe." Nun sah Tony auf. 'Liebe? Gegenwart?' dachte
er sich und sah sie fragend an. Sie lächelte nur ein
ganz kleines Bisschen, aber es war ein echtes Lächeln -
vermutlich das erste in über einem Jahr. "Tony, ich
habe doch auch Fehler gemacht. Und die waren
wahrscheinlich nicht mal kleiner als deine..." Die
Tränen liefen nun ihre Wangen entlang, dennoch gelang es
ihr, ihre Stimme halbwegs stabil zu halten. "Auch
wenn es das letzte Jahr nicht so gut gelaufen ist mit uns
beiden, ich kann doch nicht einfach die drei Jahr davor
vergessen."
"Wirklich?" fragte er ungläubig. Sie nickte
ein klein wenig und er verstand. Er legte eine Hand auf
ihre Wange und strich ihr ein paar Tränen aus dem
Gesicht. "Hey, nicht weinen." Er lachte ein
wenig. "Ich weiß, ich habe ein paar riesige Fehler
gemacht... Um genau zu sein, haben wir beide glaube ich 'nen
ganzen Haufen Mist gebaut, im letzten Jahr..." Sie
nickte heftig. "Hör zu, Michelle. Ich weiß nicht,
was ich sagen oder tun soll, aber ich kann dich nicht
einfach so gehen lassen, ich kann dich einfach aufgeben.
Was auch immer du von mir verlangst, damit das hier
funktioniert, ich werde alles tun."
Da war es. Alles, was sie in diesem ganzen Jahr vermisst
hatte, kam nun mit enormer Geschwindigkeit zu ihr zurück.
Sie hatte sich einfach nur gewünscht, dass er sich
anstrengt, ihr ein Zeichen gibt, dass er sie noch liebte
- ihr all die Dinge bestätigte, wegen denen sie ihn so
sehr liebte. Also sah sie ihn an und fragte: "Alles?"
Er sah sie etwas verwirrt an und nickte stumm. Sie
lächelte und sagte: "Nimm mich mit nach Hause."
"Bist du dir da sicher? Ich meine, ich..." Sie
legte ihren Zeigefinger auf seinen Mund und stand auf,
während er das Gleiche tat. Sie entschied, dass er schon
genügend gesagt und getan hatte und küsste ihn, ließ
ihn alle Emotionen spüren, durch die sie in den letzten
zwölf Monaten gegangen war und - was am wichtigsten war
- ließ ihn spüren, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Als
sie sich endlich von ihm trennen konnte, sah sie noch
einmal zu dem "Ben & Jerry's"-Becher,
kicherte ein wenig und nahm seine Hand, an der sie ihn
zur Tür führte. Sie hatte ihre Hand bereits an der
Türklinke, da hielt er sie an ihrem Ellbogen zurück und
streckte ihr den Bademantel entgegen. Sie lachte und
sagte: "Den wirst du da draußen noch brauchen."
Er lachte ebenfalls und erwiderte: "Gott, ich liebe
dich." Sie küsste ihn noch einmal auf seine
stoppelige Wange und schloss dann die Tür, froh, diese
schrecklich einsamen fünf Tage einfach hinter sich
lassen konnte. Es war ihr egal, dass sie noch immer nur
den Schlafanzug und die unglaublich albernen Hausschuhe
anhatte - sie hatte ihren Tony wieder.
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