24
Stunden
by LeAnnNach Season 3
Jack Bauer und Ex-President haben versucht Tony zumindest
die Todesstrafe zu ersparen, aber ohne Erfolg. Es sind
nur noch ein paar Tage/Stunden bis zu seiner Hinrichtung.
Wie fühlt er sich und was macht er? Wer kommt zu Besuch?
Und am wichtigsten: Was ist mit Michelle? Kommt sie ihren
Mann besuchen? Hat sie sich von ihm getrennt? Wie geht
sie mit der Situation um? (Die Story sollte sehr traurig
werden und wenns geht ohne Happy End.)
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In 24 Stunden ist alles vorbei.
Tonys Atem stockte als der Gedanke Form annahm. Noch 24
Stunden. Seine letzte Nacht lag vor ihm. Noch eine Nacht,
und dann würde die Hinrichtung auf ihn warten. Tony rieb
sich die Augen. Wahrscheinlich würde er diese Nacht
sowieso nicht schlafen. Er blinzelte in das grelle Licht
der Deckenlampe, Licht, das nie verlöschte, und sein
Blick streifte die Kamera oben in der Ecke der Zelle, die
ihn ständig im Blickfeld hatte. Er könnte ja versuchen
sich selbst das Leben zu nehmen bevor die Staatsgewalt
das tat, und das musste natürlich auf alle Fälle
verhindert werden. Daher wurde er rund um die Uhr
beobachtet.
Ob ein Gefängniswärter gerade vor dem Monitor saß und
ihm zusah wie er sich schlaflos auf seiner Pritsche
wälzte?
Die Worte des Richters hatten sich ihm eingebrannt. Und
hiermit werden Sie wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.
Morgen um diese Zeit wäre er schon auf dem Weg vom Leben
zum Tod. Tony biss sich auf die Lippen und unterdrückte
den Schluchzer, der sich seiner Kehle entringen wollte.
Jack hatte sein Bestes gegeben und mit Engelszungen auf
Präsident Palmer eingeredet. Tony wusste, es war nicht
David Palmers Schuld, dass die Todesstrafe nicht in eine
Gefängnisstrafe umgewandelt werden konnte. Jack hatte es
ihm erklärt, bei dem einzigen Besuch, der ihm gestattet
worden war. David Palmers Hände waren gebunden, er hatte
keine Möglichkeit gehabt, ihn zu begnadigen.
Nur einige kleine Vergünstigungen hatte er bewirken
können. Eine normale Zelle statt des Gitterkäfigs in
dem Todeskandidaten gewöhnlich gehalten wurden.
Und ein letzter Besuch von Michelle.
Erst hatte Tony den Gedanken abgelehnt, als Jack ihm bei
seinem Besuch vor zwei Wochen davon erzählt hatte. Der
Gedanke, dass Michelle ihn so sah, im orangefarbenen
Gefängnisanzug, mit schweren Ketten an Händen, Füßen
und um die Hüfte hatte ihn abgeschreckt. Noch mehr aber
die Tatsache, wie Besucher des Todestraktes behandelt
wurden. Er wollte Michelle die Demütigung ersparen, die
eine wirklich gründliche Leibesvisitation mit sich
brachte.
Dann hatte es ihm aber die Sprache verschlagen, als Jack
ihm erklärte, dass diese letzte Vergünstigung nicht nur
eine halbe Stunde mit einer gläsernen Trennwand zwischen
ihnen vorsah, sondern dass Michelle ihn sechs Stunden in
seiner Zelle besuchen durfte. Außerdem war Michelle
bereit, alles auf sich zu nehmen, welche Regeln auch
immer dazu verfügt werden sollten.
Sechs Stunden mit Michelle.
Tony schloss die Augen und kreuzte seine Arme über
seinem Gesicht. Natürlich hatte er dann eingewilligt und
gestern war es endlich soweit gewesen. Den ganzen Morgen
war er nervös in seiner Zelle auf und ab getigert, hatte
befürchtet, dass vielleicht jemand Einwände erheben
würde, oder dass sich alles nur als Irrtum herausstellen
würde. Schließlich war es nicht üblich, dass
Todeskandidaten zwei Tage vor der Hinrichtung noch einmal
ein paar Stunden mit ihrer Frau verbringen durften.
Dann hatte sich die Tür geöffnet. Und noch bevor die
schwere Stahltür hinter Michelle krachend ins Schloss
gefallen war, hatte er das ständig auf ihn gerichtete
Kameraauge vergessen.
Tony schloss die Augen, und sofort tauchten die Bilder
wieder in seinen Gedanken auf. Wie ein Film erlebte er
ihre letzten gemeinsamen Stunden noch einmal.
Michelle. Rote weiche Lippen, gelocktes Haar, die Augen
dunkel in ihrem bleichen Gesicht, so war sie im
Türrahmen erschienen. Wortlos waren sie einander in die
Arme gefallen. Michelles tränennasses Gesicht. Ein nie
enden wollender Kuss. Michelles Hände, die in seinen
Overall schlüpften. Warme Hände auf nackter Haut.
Da oben ist eine Kamera, flüsterte Tony
zwischen zwei Küssen.
Ich weiß, egal. Lass sie zuschauen, ihre
Stimme war tränenerstickt. Tony, es ist das letzte
Mal.
Sanft wischten Tonys Hände die Tränen von ihrem Gesicht,
wanderten dann weiter hinunter. Tonys Hände auf ihren
Brüsten, mit zitternden Fingern öffnete er den weißen
Baumwoll-Overall, den man ihr nach der Leibesvisitation
gegeben hatte es war Michelle nicht gestattet
worden, irgendeinen persönlichen Gegenstand mit in die
Zelle zu nehmen.
Die Kamera und eventuelle Beobachter vergessen, fielen
orangefarbener und weißer Overall in einem Haufen auf
den Boden, landeten Tony und Michelle auf der schmalen
Pritsche.
Er war bereit. Michelle war bereit. Noch bevor Tonys
Rücken auf der dünnen Matratze landete, war Michelle
bereits über ihm, umschloss ihn ihre feurige Wärme.
Es war nicht die Zeit für viele Worte, ihre Körper
sprachen miteinander. Erst hastig, voll feurigem
Verlangen. Es dauerte nicht lange bis Tony das erste Mal
kam. Später ließen sie es langsamer angehen, immer
langsamer, den Augenblick hinausdehnend, einander
umklammernd, mit sanften Bewegungen, minutenlang ihre
Umgebung vergessend, während sie auf den Wogen der
Ekstase ritten.
Tony schreckte hoch. Irgendwann musste er über seinen
süßen Erinnerungen eingeschlafen sein. Wie spät war es
wohl? Uhren waren Todeskandidaten nicht gestattet, und
die immerwährende Helligkeit in seiner Zelle machte es
ihm unmöglich herauszufinden, wieviel Zeit ihm noch
blieb.
Sein Mund war völlig ausgetrocknet, und langsam stand
Tony auf. Seine Beine fühlten sich weich an, das musste
wohl an seinem Kreislauf liegen. Vorsichtig ging er die
drei Schritte in die Ecke, um ein paar Schlucke Wasser zu
trinken. Einen Moment lang starrte er nach oben in das
Kameraauge, dann wandte er der Kamera den Rücken zu und
ging zurück zu seiner Pritsche.
Wenn er früher Filme angeschaut hatte in denen Leute zum
Schafott geführt wurde, hatte er sich manches Mal
gefragt wie er selbst in solch einer Situation reagieren
würde. Ob er wohl in der Lage wäre auf eigenen Beinen
zu seiner Hinrichtung zu gehen? Würdig und mit erhobenem
Haupt? Oder würden ihm die Beine versagen und er sich
schreiend und verzweifelt wehren?
Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals bei dem Gedanken was
in Kürze geschehen würde. Weniger als 24 Stunden und er
war tot. Das Leben würde ohne ihn weitergehen. Einfach
so. Tony ballte seine Hände zu Fäusten und biss sich
auf die Unterlippe. Es war bestimmt schon früher Morgen.
War es besser den genauen Hinrichtungstermin zu wissen?
Oder sich wie früher im Morgengrauen davon überraschen
zu lassen? Vielleicht war es doch besser, einfach ohne
den genauen Tag der Hinrichtung zu kennen irgendwann vom
Schlaflager gezerrt zu werden und zum
Hinrichtungskommando zu marschieren.
Wenn es wenigstens ein Hinrichtungskommando gäbe. Eine
Kugel in den Kopf erschien ihm attraktiver als auf dieser
Liege mit ausgebreiteten Armen festgeschnallt
Giftspritzen verabreicht zu bekommen.
Hätte Saunders doch nur ihn entführt statt Michelle.
Michelle hätte vielleicht eine Lösung gefunden, ohne in
dieselbe Misere zu geraten wie er. Aber hätte er anders
gehandelt wenn er gewusst hätte, dass er dafür zum Tode
verurteilt werden konnte? Der Ernst der Situation war ihm
erst in der CTU klar geworden, als Brad Hammond mit ihm
geredet hatte. Wie oft hatte er sich in der Zwischenzeit
gefragt ob es einen anderen Weg gegeben hätte. Wenn er
Jack von Anfang an anvertraut hätte, dass Michelle
entführt worden war, anstatt auf eigene Faust loszugehen
vielleicht hätte Jack einen Weg gefunden, Jack
fand fast immer einen Weg zumindest bei anderen
Leuten, wenn auch nicht immer für sich selbst.
Tony seufzte. Es war müßig darüber nachzudenken, denn
es änderte nichts, aber auch gar nichts an seiner
Situation. In einigen Stunden würden sie kommen und ihn
holen für die Vorbereitungen. Die Prozedur war ihm
bereits erklärt worden.
Aber nein, daran wollte er jetzt nicht denken.
Viel lieber dachte er an Michelle. Jack hatte ihm
versprochen sich um Michelle zu kümmern. Michelle.
Wieder schloss er die Augen und wie ein Film liefen vor
seinem inneren Augen ein weiteres Mal die Bilder ihrer
letzten gemeinsamen Stunden ab. Nur daran wollte er jetzt
noch denken, mit diesen Bildern im Kopf wollte er sterben.
Das Wasser schlug mit regelmäßigem Klatschen auf die
Felsen, und die Gischt sprühte hoch und ließ immer
wieder salzige Wassertropfen auf sie herunterregnen.
Salziges Meerwasser, das sich mit ihren Tränen
vermischte, die ihr das Gesicht herunter rannen. Ihre
Augen waren verquollen, ihre Nase war zu. Sie war völlig
durchgefroren, denn als die Sonne gesunken war, waren die
Temperaturen rapide gefallen, während sie nur in Jeans
und mit einer dünnen Jacke bekleidet seit Stunden auf
den Felsen saß.
Vielleicht konnte sie ja hier sitzen bleiben bis sie
erfror.
Michelle hatte keine Ahnung, wie spät es inzwischen war.
Sie wusste nur eines: Tony war tot. Längst war die
festgesetzte Zeit für die Hinrichtung verstrichen, das
Gift war schon längst in seine Blutbahnen gelangt und
hatte ihn getötet. Im Namen des Staates. Hingerichtet.
Hingerichtet, weil er ihr Leben hatte retten wollen.
Ein neuerlicher Weinkrampf ließ sie zittern. Wie sollte
es ohne Tony weitergehen? Nun war sie am Leben und Tony
tot. Wäre es nicht besser, wenn es andersherum gekommen
wäre, wenn Saunders sie getötet hätte? Dann hätte
Tony ohne sie weiterleben können, sich eine andere Frau
suchen, und endlich die Kinder bekommen können nach
denen er sich gesehnt hatte.
Nur wenige Wochen bevor es geschehen war, hatten sie
wieder einmal ihre Familienplanung diskutiert. Sie wusste,
dass Tony es nicht erwarten konnte, bis sie endlich
bereit war Kinder zu bekommen. Und wieder einmal hatte
sie um mehr Zeit gebeten. Und nun? Wenn es wenigstens bei
ihrem letzten Beisammensein geklappt hätte, aber nein,
sie wusste, dass die Hoffnung vergebens sein musste, es
war der völlig falsche Zeitpunkt gewesen. Nichts, aber
auch gar nichts war von Tony übrig geblieben.
Es war ihre Schuld, dass Tony tot war.
Und es war ihre Schuld, dass er nie Vater geworden war.
Wie sollte sie mit dieser Schuld weiterleben?
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