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Viel Glück, Frank!
by Schusy


Als ihr Wecker klingelte und sie ziemlich unsanft aus ihrem viel versprechendem Traum riss, seufzte Chloe bedauernd. John wollte sie gerade auf seine cool, lässige Art aus den Händen der Terroristen befreien und zwei dieser fiesen Typen hatte er schon mal ganz schnell mit links erledigt, als dieses blöde Piepen ihren kühnen Retter langsam im Nebel verschwinden lies. Jetzt würde sie nie erfahren, wie es sich anfühlte, in seinen Armen zu liegen und von ihm geküsst zu werden. Chloe schalt sich eine Närrin, als ihr bewusst wurde, dass sie sich gerade wie ein pubertierender Teenager aufführte. Bruce Willis war einer ihrer Lieblingsschauspieler und als sie gestern Abend nicht einschlafen konnte, hatte sie kurzerhand ‚Stirb langsam‘ Teil 1 in ihren DVD Recorder geschoben, zum x-ten Mal, wie sie zugeben musste. Die Folge war ein äußerst interessanter und aufregender Traum, der nun leider sein abruptes Ende gefunden hatte. Musste dieser dämliche Wecker auch immer im unpassendsten Augenblick klingeln? Als sie daran dachte, was heute für ein Tag war, verging ihr die Lust am Aufstehen gründlich.

Heute sollte Jacks Beerdigung stattfinden. Seine Beerdigung … ha, wenn die wüssten, aber sie wussten es zum Glück nicht. Bei diesem Gedanken krampfte sich unweigerlich ihr Herz zusammen. Nur fünf Personen kannten die Wahrheit, Jack, David Palmer, Tony, Michelle und sie selbst und so musste es auch bleiben. Einige, so wie Kim, Bill oder Audrey, taten ihr ja furchtbar leid, aber es war besser für die Drei und besser für sie alle, wenn sie nichts von der Wahrheit erfuhren. Für sie würde es heute ein sehr schwerer und schmerzlicher Tag werden, doch es ging nicht anders. Die Gefahr für sie alle war einfach zu groß, sollte das Ganze irgendwie durchsickern. Chloe war David Palmer von Herzen dankbar, dass er Jack gewarnt hatte. So konnte er mit Tony diesen riskanten Plan zu seiner Rettung schmieden. Jack musste sterben, damit Frank Flynn leben konnte – und heute sollte Jack nun ganz offiziell seine letzte Ruhestätte finden.

Ein erneutes Piepen sagte ihr, dass es langsam Zeit wurde ihre Beine aus dem Bett zu schwingen. Die Beerdigung sollte gegen 11 Uhr beginnen und jetzt war es bereits 10:05 Uhr. Sie würde sich sputen müssen. Gerade als sie im Bad verschwinden wollte, klingelte ihr Telefon. Ärgerlich schaute sie auf den Apparat und überlegte kurz, ob sie das Klingeln einfach ignorieren sollte, holte dann jedoch tief Luft und griff nach dem Hörer.

„Chloe O’Brian“ meldete sie sich kurz angebunden und als sie die Stimme von Edgar hörte, hätte sie am liebsten gleich wieder aufgelegt.
„Chloe … hier Edgar. … Ich …“
„Was willst du, Edgar? Ich hab’s eilig.“ antwortete sie ihm barsch.
„Ja weißt du … ich wollte dich fragen, ob du mich vielleicht zu Jacks Beerdigung mitnehmen kannst. Du wohnst doch …“
„Was?“ fragte Chloe entsetzt und ihr Gesicht sah aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen.
„Warum fährst du nicht mit deinem eigenen Wagen?“ Chloes Stimme klang alles andere als freundlich.
„Der ist kaputt. Ich …“ versuchte Edgar ihr zu erklären, wurde aber von Chloe mal wieder unterbrochen.
„Wieso ist er kaputt, gestern lief er doch noch.“ Die Ungeduld war in ihrer Stimme jetzt unverkennbar.
„Ja, aber ich hatte gestern einen Unfall, aber keine Sorge, mir geht’s gut, nur der Wagen hat was abbekommen,“
„Fein …“ sagte Chloe geistesabwesend.
„Also ich finde das ja weniger schön.“ maulte Edgar.
„Was? … Oh, sorry, ich meinte fein, dass es dir gut geht … Weißt du was Edgar, ich hab jetzt keine Zeit mehr zum diskutieren. Ich bin gegen 10:40 Uhr bei dir und wehe du stehst nicht unten auf der Straße. Dann kannst du sehen, wie du zu Jacks Beerdigung kommst.“ erwiderte Chloe unwirsch.
„Klar, bin ich … und danke, Chloe. Du bist echt klasse.“ freute ich Edgar.
Chloe vertrete die Augen und unterdrückte ein Seufzen: „ Also bis gleich Edgar.“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie einfach auf.

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Jetzt würde dieser schusselige Edgar ihr die ganze Fahrt über mit seinem ach so wichtigen Geschwafel auf die Nerven gehen. Und das ausgerechnet heute, wo ihre Gedanken ganz wo anders waren. Was würde Jack wohl heute tun? Würde er seinen verrückten Plan wirklich durchführen? Gedankenversunken nagte sie an ihrer Unterlippe, riss sich dann aber aus ihren trüben Gedanken und verschwand eiligst im Bad.

Es war bereits 10:45 Uhr als sie in die Straße einbog, in der Edgar wohnte. Beim Anziehen ihrer Schrumpfhose war sie mit dem Fingernagel hängen geblieben und hatte sich diese zerrissen. Dummerweise war es ihre einzige Schwarze gewesen und so hatte sie noch kurz am Supermarkt anhalten müssen. Dementsprechend geladen war ihre Laune. Wenn jetzt Edgar nicht vor seinem Haus stand, dann würde sie einfach Gas geben und weiterfahren. Doch dieses Glück sollte ihr wohl nicht beschieden sein, denn sie sah ihn schon von weitem, wie er ihr bereits zuwinkte. Ihr kleiner, knallroter Wagen war eben zu markant, den erkannte man schon aus 10 Meilen Entfernung. Chloe seufzte ergeben und trat auf die Bremse.

Kaum das ihr Wagen stand, öffnete Edgar auch schon hastig die Beifahrertür und ließ sich auf den Platz neben ihr plumpsen.

„Hi Chloe … ich dachte schon, ich hätte dich verpasst.“
Chloe warf Edgar einen flüchten Blick zu: „Sorry, aber ich hatte noch was Dringendes zu erledigen.“
„Ist doch okay, kein Problem. … Man bin ich froh, dass ich dich noch erreicht habe. Ich hatte dir gestern Abend und heute Morgen schon auf deinem Handy eine Nachricht hinterlassen, aber da du dich nicht gemeldet hast, hab ich dann bei dir zu Hause angerufen. Ich weiß, du magst das eigentlich nicht, aber es war doch dringend und ich …“
Chloe leicht genervt: „Schon gut Edgar. Ich hatte mein Handy aus und es hat ja alles noch geklappt.“
„Zum Glück, sonst hätte ich mit dem Bus fahren müssen und …“

‘Wärst du das mal‘, dachte Chloe während ihre Gedanken schon wieder vorrauseilten. Edgars Stimme hörte sie nur noch aus weiter Ferne. Viel mehr beschäftigte sie die Frage, wie Jack sich heute wohl fühlen wird, wo er gerade sein mochte und wie es ihm ging. Blöde Frage, wie sollte es schon jemand gehen, dem alles genommen wurde, selbst seine wahre Identität.

„ … aber du hörst mir ja gar nicht zu.“ beschwerte sich Edgar lautstark und riss sie damit aus ihren Gedanken.
„Weißt du was Edgar, halt einfach deinen Mund. Mir steht im Moment nicht der Sinn nach Small Talk.“ antwortete sie leicht unwirsch.
„Small Talk?“ entrüstete sich Edgar. „Aber das war als Kompliment gemeint und ich dachte du würdest dich …“
„Was? … Entschuldige, Edgar, aber ich möchte einfach nicht reden – okay?“
„Schon gut, ich bin ja schon still.“ murmelte er beleidigt.

Hoffentlich, dachte Chloe, während sie ihren Wagen forsch neben einer schicken dunklen Limousine parkte.

Es hatten sich schon eine Menge Trauergäste versammelt und standen der Dinge harrend um das geöffnete Grab. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen überlief Chloe ein Frösteln, als sie einen Blick auf den, mit Kränzen überhäuften Sarg warf. Es hätte nicht viel gefehlt und Jack würde tatsächlich darin liegen und obwohl sie wusste, dass es nicht Jack war, hatte sie dennoch ein mulmiges Gefühl.

Vorsichtig lies sie ihren Blick über die Anwesenden gleiten. Es waren viele gekommen, nicht nur fast alle Mitarbeiter ihrer Abteilung, sondern auch einige von der Devision. Heller war da, natürlich mit Audrey, die von ihrem Vater gestützt wurde und mit bleichem, schmerzverzehrtem Gesicht auf den Sarg starrte, Kim, die wie ein Häufchen Elend in den Armen von Chase hing, die Augen gerötet und voller Tränen, Chase, der selbst versuchte die Fassung zu bewahren, Bill, der mit traurigem Blick auf den Sarg schaute - aber auch viele, die Chloe gar nicht kannte. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass Jack so viele Freunde und Bekannte hatte.

Michelle kämpfte sichtlich mit ihren Gefühlen, aber Chloe wusste, dass nicht Jacks Tod der Grund dafür war, sondern vielmehr dessen hartes, ungerechtes Schicksal, dass ihm eine ungewisse und einsame Zukunft verhieß. Tonys Blick konnte man schon als finster bezeichnen - Chloe konnte ihn nur zu gut verstehen. Sicher hätte er allen Anwesenden am liebsten mal so richtig die Meinung gesagt, aber das war natürlich unmöglich, also musste er sich beherrschen.

Und noch jemand war gekommen – David Palmer. Alle Versuche seitens der Regierung ihn davon abzuhalten, waren an dessen Entschlossenheit gescheitert. Nichts und niemand hatte ihn davon abbringen können, an diesem Tag einem treuen Freund und tapferen Streiter für die Gerechtigkeit offen seine Dankbarkeit zu bekunden. Chloe bewunderte diesen Mann.

Pünktlich um 11 Uhr begann die Trauerfeier, doch Chloe konnte sich einfach nicht auf all diese ergreifenden Ansprachen und Reden konzentrieren, immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Jack und sie zuckte zusammen, als Edgar sie ziemlich unsanft anrempelte.

„Wow … das war echt klasse, was?“ fragte Edgar sie mit weinerlicher Stimme. Chloe schaute ihn verdutzt an. Hoffentlich erwartete er jetzt keinen großen Kommentar dazu von ihr, denn sie hatte keine Ahnung, worauf sich seine Frage überhaupt bezog. Darum antwortete sie schnell mit einem einfach „Ja“, wobei sie sich Mühe gab, es möglichst überzeugend klingen zu lassen. Sie schaute sich kurz um und sah, dass Bill gerade vom Sarg zurücktrat und zu Kim ging. Offenbar hatte er soeben eine Ansprache gehalten und diese schien alle Anwesenden tief beeindruckt zu haben. Die meisten Frauen tupften sich Tränen aus den Augen und auch den Männern war ihre Ergriffenheit anzumerken. Verdammt, sie sollte sich etwas zusammenreißen und dem Ganzen mehr Aufmerksamkeit schenken, sonst würde sie womöglich noch auffallen und das wollte sie ganz bestimmt nicht.

Plötzlich spürte sie ein vibrieren in ihrer Jackentasche und obwohl sie seit Beginn der Trauerzeremonie damit gerechnet hatte, zuckte sie doch erschrocken zusammen. Jack – er war hier, er war also tatsächlich zu seiner eigenen Beerdigung gekommen. Sie hatte gehofft, er würde vielleicht doch von diesem irrwitzigen und riskanten Unternehmen ablassen … nein, wenn sie ganz ehrlich war, sie hatte gewusst, dass er kommen würde. Ihr war klar gewesen, dass er alles versuchen würde, um Kim und Audrey ein letztes Mal zu sehen und wenn auch nur aus der Ferne. Für ihn musste es grausam sein, zu wissen, dass sie an seinen Tod glaubten und er ihnen nicht die Wahrheit sagen zu können.

Unwillkürlich drehte sie sich um und ihr Blick glitt suchend über die Reihen der Gräber, aber sie konnte niemanden entdecken. Schon wollte sie sich wieder abwenden, als ihr für den Bruchteil einer Sekunde eine Hand hinter dem Stamm eines mächtigen Baumes zuwinkte und sofort wieder in der Dunkelheit des Schattens verschwand. War die Hand wirklich da gewesen? Oder hatte sie sich das nur eingebildet?

„He Chloe? Was ist los? Was gibt es dann da so interessantes zu sehen?“ riss sie Edgars Flüstern sie aus ihren Gedanken.
„Was? … Oh, da, da ist nichts.“ antwortete sie ihm unwirsch. Hatte Edgar nichts anderes zu tun als sie zu beobachten?
„Und warum siehst du dann aus als hättest du einen Geist gesehen?“ lies Edgar nicht locker. Chloe verflucht sich und ihn innerlich und riss sich zusammen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, aber so ganz Unrecht hatte Edgar gar nicht mit seiner Vermutung. Sie hatte tatsächlich so etwas ähnliches wie einen Geist gesehen.
„Ich sagte doch, da ist nichts … Jack war mein Freund. Wie sollte ich mich denn deiner Meinung nach fühlen – lass mich einfach in Ruhe, Edgar.“
„Okay, ist ja schon gut.“ Beleidigt wandte sich Edgar von ihr ab und Chloe atmete erleichtert auf.

Jack – o Gott, was mochte er jetzt empfinden? Sie ließ ihren Blick über die Trauergäste gleiten und fragte sich, wie Jack das alles verarbeiten würde. Es musste ihm schier das Herz brechen, all seine Lieben so voller Trauer und Schmerz zu sehen, ihnen so nah zu sein und dennoch ferner als je zuvor, sie leiden zu sehen und ihnen nicht helfen zu können. Sie sah wie Kim von Chase gestützt zum noch offenen Grab trat und eine einzelne weiße Rose hinabfallen lies. Für einen Moment sah es so aus, als wolle sie selbst sich mit hineinfallen lassen, aber dann hatte Chase sie bereite zur Seite gebracht und Audrey trat an das Grab. Aufrecht und bleich stand sie da - Tränen liefen über ihre Wangen, aber sie brach nicht zusammen. Einen letzten Blick auf den in der Erde ruhendem Sarg werfend, nahm sie Abschied von dem Mann, den sie so geliebt hatte. Dann wandte sie sich hastig ab, schwanke leicht, doch noch bevor ihr Vater sie stützen konnte, hatte sie sich wieder gefangen und verließ, ohne einen Blick zurückzuwerfen, schnell den Ort des traurigen Geschehens. Nach und nach leerte sich der Platz, Chloe bemerkte das kaum, denn ihr Gedanken waren noch immer bei Jack.

„Was ist Chloe – gehen wir?“ riss sie erneut Edgars Stimme aus ihrer Versunkenheit. Sie sah, dass sie die Einzigen waren, die noch auf ihrem Platz standen und mit einem letzten Blick auf das Grab wandte sie sich Edgar zu.
„Okay, gehen wir.“ sagte sie einfach. Doch sie konnte es sich nicht verkneifen einen verstohlenen Blick zu jenem Baum zu werfen. „Viel Glück, Frank!“ murmelte sie leise vor sich hin und hoffte, dass er dieses irgendwann finden möge. Jack war tot, aber Frank lebte und dieses Wissen würde sie belasten - damit musste sie von nun an leben.
         
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