Zurück | ||||
Ohne
Titel by Janina Tot, wie konnte er einfach sterben, nie würde ich ihn wieder sehen. Irgendwie kommt es mir nach einer Woche immer noch wie ein Albtraum vor. Ich stehe am Fenster und schaue hinaus. Am Horizont geht langsam die Sonne auf und die Dämmerung wird von einem rötlich-orangem Schimmer durchbrochen. Die wenigen Wolken, die am Himmel zu sehen sind, sehen aus wie gelbliche Zuckerwatte. Aber nichts davon nehme ich wahr. In der Reflexion auf der Fensterscheibe sehe ich auf einmal mein Gesicht und erschrecke. Meine Augen sind rot und tiefe Schatten liegen darunter. Aber das ist ja auch kein Wunder. Seit Michelle mir mitgeteilt hat, was passiert ist, habe ich nicht mehr richtig geschlafen und stundenlang mit Weinen zugebracht. Meine Wohnung habe ich seitdem auch nicht mehr verlassen und jegliches Telefonklingeln ignoriert. Plötzlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich zum ersten Mal seit Wochen Chase und vermutlich auch Angela wieder sehen werde. Es kommt mir so vor, als wäre es erst gestern gewesen, als wir uns getrennt hatten. Chase hatte sich im letzten halben Jahr verändert. Die Situation mit seinem Arm und dass er so lange keine Job finden konnte, war nicht leicht für ihn. Als er dann endlich bei einer Security-Firma anfangen konnte, wurde es leider auch nicht besser. Jeder von uns lebte irgendwie sein eigenes Leben, es gab kein Miteinander, daher musste ich unbedingt einen Schlussstrich ziehen. Also packte ich meine Koffer und zog in diese Wohnung. Mit einem tiefen Seufzer wandte ich mich Stunden später vom Fenster ab, obwohl es mir wie einen kurzen Augenblick vorkam. Ziellos wanderte ich durch die Wohnung. Schließlich ging ich in die Küche, nahm mir eine Schachtel Cornflakes sowie eine Schüssel aus dem Schrank und setzte mich an den Tisch. Während ich die Cornflakes ohne Löffel direkt aus der Schüssel aß, musste ich an eine besonders schöne Erinnerung mit Dad von früher denken, als ich noch ein Kind und das Leben wesentlich einfacher war, daraufhin schossen mir sofort wieder Tränen in die Augen. Es klingelte an der Tür und vor Schreck fiel ich beinahe vom Stuhl. Ich wischte mir schnell die Tränen ab und öffnete die Tür. Hi Kim. Es waren Tony und Michelle, die auch gleich hereinkamen. Beide waren ganz in schwarz gekleidet. Schön, dass du bereits aufgestanden bist, wir sind hier, um dich abzuholen, sagte Michelle und lächelte mich an. Verwirrt blickte ich immer wieder von Tony zu Michelle. Ääääh, wieso abholen? Wir wollten dich nicht alleine gehen lassen, daher haben wir uns überlegt, dich zu begleiten, antwortete Tony. Es ist noch genug Zeit, also gehst du unter die Dusche und suche dir etwas zum Anziehen raus. Tony, Schatz, du kannst es dir ja so lange im Wohnzimmer bequem machen. Dann nahm Michelle mich am Arm und zog mich ins Badezimmer. Sie nötigte mich halbwegs unter die Dusche. Währenddessen machte sie sich an meinem Kleiderschrank zu schaffen. Anschließend half sie mir beim Zurechtmachen. Nach etwa 45 Minuten sah ich einigermaßen wie ein Mensch aus und wir gingen ins Wohnzimmer zu Tony. Der hatte es sich inzwischen auf der Couch bequem gemacht und war doch tatsächlich eingeschlafen. Das darf doch nicht wahr sein! Sagte Michelle leise zu sich selbst. Dann stellte sie sich mit einem wütendem Gesichtsausdruck vor ihm hin, Hände in die Hüften gestemmt und sagte laut: Tony! Wirst du wohl sofort aufstehen! Wie kannst du nur schlafen? Tony setzte sich mit einem Ruck auf und sah Michelle mit einem leicht verschlafenen, aber verliebten Blick an. Nun, wie du dich hoffentlich erinnern kannst, haben wir beide letzte Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Michelle errötete und blickte leicht beschämt zu Boden. Zum ersten Mal seit langer Zeit musste ich grinsen. Dann schaute sie mich an. Nun gut, ich denke, wir können dann losfahren. Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir den Friedhof. Er war groß und sehr schön gestaltet, mit viel Grün und ein paar Bäumen. Wir waren sehr früh dran und gingen auf die Stelle zu, wo die Beerdigung stattfinden würde. Als ich näher kam, konnte ich erkennen, dass um den Sarg herum bereits sehr viele Kränze und Blumengestecke aufgebaut waren. Dazwischen stand ein Foto von Dad. Bei dem Anblick fühlte ich, wie wieder Tränen in meine Augen stiegen. Hastig wischte ich sie weg. Nein, heute werde ich nicht weinen. Ich werde allen zeigen, dass ich die Tochter von Jack Bauers bin und werde stark sein. Ich atmete tief durch, ging zu den Stühlen, die vor dem Sarg aufgebaut waren und setzte mich. Michelle und Tony nahmen neben mir Platz. Schweigend warteten wir auf die restlichen Trauergäste. Als erster traf David Palmer ein. Begleitet von zwei Secret Service Agenten, die ihm in diskretem Abstand folgten. Ich stand auf und er umarmte mich kurz. Kim, mein Beileid. Ich habe ihren Vater immer sehr geschätzt. Sein Tod ist ein sehr großer Verlust. Danke. Ich kann mir vorstellen, was sie durchmachen. Wenn ich irgendetwas für sie tun kann, dann lassen sie es mich bitte wissen. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Dann begrüßte Palmer Michelle und Tony. Danach trafen immer mehr Trauergäste ein. Gerade nahm ich die Kondolierung von Bill Buchanan entgegen, als ich Chase sah. Sofort wallten die widersprüchlichsten Gefühle in mir auf. Einerseits liebe ich ihn immer noch. Andererseits wurde mir bewusst, dass ich immer noch sauer auf ihn bin. Dann stand er vor mir, er war alleine gekommen. Es hatte den Anschein, als wüsste er nicht genau wie er sich verhalten sollte. Unbeholfen nahm er mich kurz in den Arm und sagte anschließend: Kim, es tut mir furchtbar leid. Danke, Chase. Es schien als wollte er noch etwas sagen, tat es aber nicht und ging weiter, um Tony zu begrüßen, der ganz in der Nähe stand. Ich schaute ihm hinterher, dabei fiel mein Blick auf Chloe. Mir fiel ein, dass sie mich noch gar nicht begrüßt hat. Sie schaute mich kurz an und drehte schnell den Kopf wieder weg. Das ist sehr merkwürdig, als würde sie mich meiden. Aber das ist eben Chloe, was bei anderen merkwürdig ist, ist bei ihr normal. Gerade wollte zu ihr gehen, als der Pfarrer zu mir trat. Er sagte, dass er gerne beginnen würde. Ich nickte und setzte mich hin. Die anderen Gäste folgten meinem Beispiel. Während der gesamten Trauerfeier saß ich wie angewurzelt auf meinem Stuhl. Alles war wie in einem Traum, ich konnte immer nochnicht begreifen, dass in dem Sarg mein Dad liegen soll. Es wurden Reden von David Palmer und Tony gehalten. Nachdem der Pfarrer mit dem letzten Segen die Beerdigung beendete, stand ich schnell auf und ging davon. Ich wollte keinen mehr sprechen und außerdem wusste ich nicht wie lange ich meine Tränen noch zurückhalten konnte. Kim. Kim, warte doch. Ich hörte das Rufen, aber ich ignorierte es. Jemand griff an meinen Arm und hielt mich zurück. Es war Christopher Henderson. Kim. Ich möchte dich nicht lange aufhalten, da du bestimmt erst mal alleine sein möchtest. Du weißt, du kannst immer zu Miriam und mir kommen, wenn du Hilfe brauchst. Dann gab er mir eine Visitenkarte eines Psychotherapeuten. Nur falls du es brauchst. Er ist sehr gut. Danke Christopher, sagte ich und umarmte ihn. Du kannst auch gerne ein paar Tage bei uns wohnen. Miriam würde dich liebend gerne verwöhnen. Vielleicht komme ich darauf zurück. Und richte auch Miriam meinen Dank aus. Wir umarmten uns noch kurz und ich ging zu Tony und Michelle, die in der Nähe warteten. Könnt ihr mich bitte nach Hause bringen. Ich möchte mich ein wenig ausruhen. Irgendwann würde ich begreifen und verstehen, dass mein Dad nie wieder da sein wird. Aber nicht heute. |
||||
Zurück | ||||